Süddeutsche Zeitung

Nach Röttgen-Rücktritt:Bayern fordert Tempo bei der Energiewende

Ein Jahr nach dem Atomausstieg ist im Freistaat die Energiewende spürbar ins Stocken geraten. Ministerpräsident Seehofer und Wirtschaftsminister Zeil machen dafür den geschassten Umweltminister Röttgen verantwortlich - und verlangen von seinem Nachfolger zügig Regelungen für neue Kraftwerke.

Mike Szymanski

Nach dem Wechsel an der Spitze des Bundesumweltministeriums hofft die Staatsregierung auf ein höheres Tempo bei der Energiewende auch im Freistaat. Bayerns Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) sagte der Süddeutschen Zeitung: "Ich habe von Anfang an gesagt, mir geht das alles zu langsam."

Er begrüßte die Entlassung von Umweltminister Norbert Röttgen durch Kanzlerin Angela Merkel. Dieser Schritt sei "zwangsläufig" gewesen. Nachfolger Peter Altmaier (CDU) müsse nachholen, was Röttgen versäumt habe. Zeil sagte: "Ich kann mir gut vorstellen, dass Altmaier die Energiewende zielorientierter angeht als sein Vorgänger." Ministerpräsident Horst Seehofer sagte, Altmaier stehe vor einer "Herkulesaufgabe".

Ein Jahr nachdem die Staatsregierung den Ausstieg aus der Atomkraft bis Ende 2022 beschlossen hat, ist im Freistaat die Energiewende spürbar ins Stocken geraten. Seehofer hatte Anfang der Woche als erster Spitzenpolitiker der Berliner Koalition offen Röttgens Kompetenz als Umweltminister infrage gestellt. Auch Zeil macht nun Röttgen für den Stillstand verantwortlich.

Mit einem Anteil von mehr als 50 Prozent Atomstrom ist Bayern abhängiger von den Meilern als andere Bundesländer. Bis 2022 strebt Bayern einen Mix aus etwa 50 Prozent erneuerbaren Energien und 50 Prozent konventionell erzeugtem Strom an. Dazu müssten nach Auffassung der Staatsregierung etwa fünf moderne Gaskraftwerke errichtet werden.

Doch weder der Ausbau der Kraftwerke noch der Netze kommt wirklich voran. Weil die Energieversorger sogar drohen, weitere Altkraftwerke vom Netz zu nehmen, befürchtet die Bundesnetzagentur Engpässe bei der Stromversorgung.

Nun fordern Seehofer und Zeil Altmaier auf, rasch zu handeln. "Wir haben die Standorte für Kraftwerke, wir haben die Investoren, aber uns fehlen die Rahmenbedingungen. Auf Landesebene haben wir alles gemacht, um die Energiewende voranzutreiben", sagte Zeil.

Die Energiewirtschaft weigert sich bislang, neue Kraftwerke zu bauen. Die Unternehmen argumentieren, die Anlagen wären nicht ausgelastet, wenn Ökostrom bevorzugt abgenommen würde. Zeil wäre mittlerweile bereit, den Energieversorgern eine Prämie zu zahlen, damit sie Stromkapazitäten vorhalten. Bis zu einer Milliarde Euro bundesweit könnte das die Stromkunden kosten. "Unsere Vorschläge liegen seit Monaten auf dem Tisch, aber aus Berlin ist nichts gekommen", erklärte Zeil. Jetzt dürfe die Bundesregierung keine weitere Zeit verlieren.

Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) betonte, es gehe jetzt darum, alle Akteure, wie etwa die Bundesländer, die Energieversorger und die Wirtschaft zusammenzubringen und das Handeln zu koordinieren. Für diese Aufgabe sei Altmaier der Richtige, "er kann das".

Seehofer sagte der SZ: "Ich will nicht, dass Bayern durch die Energiewende in neue Abhängigkeiten gerät. Bayern muss natürlich selbst Energiestandort bleiben."

Die Energiewirtschaft attackierte er dafür, dass sie einerseits mit der beabsichtigten Abschaltung von Altanlagen die Lage auf dem Strommarkt verschärft und sich andererseits dem Bau neuer Kraftwerke verweigert. Die Konzerne hätten wohl noch nicht verstanden, dass die Energiewende "irreversibel" sei. An diesem Freitag treffen sich die Spitzen der Koalition, um unter anderem über ihre Erwartungen an Berlin zu beraten.

Hubert Weiger, Vorsitzender vom Bund Naturschutz, warnte davor, allein Röttgen für die Versäumnisse verantwortlich zu machen. "Das Auswechseln von Personen reicht nicht", sagte er. "Röttgen war kein Blockierer der Energiewende."

Zuletzt habe ihm aber die Unterstützung der Kanzlerin gefehlt. Weiger forderte Seehofer auf, die Energiewende in Bayern zur Chefsache zu erklären. "Konzeptionell muss wesentlich mehr passieren", sagte er. Das Energiesparen käme bislang in den Überlegungen zu kurz, ebenso müsse die Wende stärker als bisher vorgesehen dezentral umgesetzt werden.

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SZ vom 18.05.2012/afis
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