Süddeutsche Zeitung

Nach Kritik des Rechnungshofs:Landtagspräsidentin Stamm will Gutachten einholen

Das Thema Abgeordnetenfinanzierung ist zurück: Die Vorwürfe des Obersten Rechnungshofs schrecken die Parlamentarier in der Sommerpause auf. Landtagspräsidentin Stamm will jetzt erst mal ein Gutachten einholen. Denn sollte sich die ORH-Meinung durchsetzen, hätten die Abgeordneten ein Problem.

Von Frank Müller

Es ist ein schöner Satz, den Barbara Stamm da formuliert, als sie gerade zum x-ten Mal zum neuen Rechnungshofbericht gefragt wird. "Es gibt ja nur noch einige wenige, die so aufgestellt sind wie ich", sagt die Landtagspräsidentin. Sie steht in ihrem großzügigen Büro und muss so tun, als beantworte sie die neuen Fragen zur Verwandtenaffäre ausgesprochen gern. In Wahrheit steht ihr das Thema natürlich mindestens bis zur Zimmerdecke. Und die ist hoch im ersten Stock des Maximilianeums.

Es ist ein Satz, mit dem sie ihre Einstellung zu modernen Arbeitsmitteln beschreiben will. Andere Abgeordnete mögen viel im Netz unterwegs sein, modernste Computer, Tablets, Smartphones auf Staatskosten benötigen. Barbara Stamm nicht. Die CSU-Politikerin pflegt auch an diesem Dienstag wieder ihren Ruf, der alten Schule anzugehören. Und das nicht nur in Technikfragen. Sondern auch in solchen der Moral. Am Ende sei es eben die Verantwortung jedes einzelnen Abgeordneten, wie er mit den staatlichen Mitteln umgeht, sagt sie. "Das muss doch jeder für sich entscheiden, wie er sich technisch aufstellt."

Seitdem der Oberste Rechnungshof (ORH) am Montag sehr deutlich gemacht hat, dass er das nicht ganz so sieht, ist das große Thema Abgeordnetenfinanzierung zurück. Zurück im Landtag, zurück im Wahlkampf. Mehr als zwei Stunden tagt das Präsidium des Landtags in einer eilends einberufenen Sondersitzung am Dienstagmittag. Es gibt viele kleine neue Geschichten und eine große. Die kleinen beschäftigen sich mit einer Minderheit an Abgeordneten, die sich Vorteile zugeschanzt haben und die Kostenpauschalen bis aufs letzte ausgereizt haben.

Die große Geschichte, das ist die Frage, ob diejenigen Abgeordneten, die ihre Familienangehörigen beschäftigten, dies womöglich seit zehn Jahren ohne jede Rechtsgrundlage tun. Das macht der ORH zum zentralen Ergebnis seiner Sonderprüfung. In einer detaillierten Analyse der Veränderungen im bayerischen Abgeordnetengesetz versuchen die Rechnungsprüfer nachzuweisen, dass seit 2004 die Ausnahmegenehmigung in dieser Frage gar nicht mehr bestand. Auf diese hatten sich alle Familienbeschäftiger bislang stets berufen.

Sollte sich die ORH-Meinung durchsetzen, dann hätten die Abgeordneten ein Problem. Das hätte dann zwar weniger mit Geld zu tun - der ORH glaubt selbst, dass mögliche Rückzahlungen schon verjährt sind oder wegen des Vertrauensschutzes gegenstandslos. Was aber bliebe, wäre der Makel: Die Abgeordneten hätten ihren Familien widerrechtlich Staatsgeld in Millionenhöhe zukommen lassen. Und der Landtag hätte nicht nur zugesehen, sondern alles über die Jahre hinweg noch befördert.

"Wir wollen da schon Klarheit haben"

Die Brisanz dieses Themas bestimmt auch die Sondersitzung. Keine vorschnellen Folgerungen, lautet parteiübergreifend die Devise. Stamm will nun ein neues Rechtsgutachten einholen. Schon jetzt aber macht sie klar, dass sie von der Argumentation des ORH nichts hält. Zwar fehlt die entsprechende Formulierung in der Tat seit 2004 im Gesetz - der "gesetzgeberische Wille", so Stamm, sei aber stets klar erkennbar gewesen.

Auch die anderen Fraktionen schließen sich dem an, am aufmüpfigsten ist noch die FDP. "Wir wollen da schon Klarheit haben", sagt Fraktionschef Thomas Hacker. Die mögliche Rückforderung von Geld, das an Verwandte ausbezahlt wurde, müsse "zweifelsfrei geklärt" werden. Die FDP tut sich in solchen Fragen leichter, weil sie erst 2008 ins Parlament kam. In der Verwandtenaffäre ist sie als einzige Fraktion unbelastet.

Bislang wenigstens. Denn schon beginnt in vielen Abgeordnetenbüros wieder die Suche, ob man sich selbst angesprochen fühlen müsste von der Detailkritik, Geld auf angreifbaren Wegen weitergereicht oder zu hohe Summen für Kameras ausgegeben zu haben. Mitarbeiter überprüfen verschreckt Abrechnungen, Abgeordnete prüfen ihr eigenes Gedächtnis. Doch die große Inquisition bleibt zunächst aus.

Als Christa Stewens mitten auf dem Höhepunkt der Abgeordnetenaffäre die Führung der CSU-Fraktion als Ersatz für den geschassten Georg Schmid übernahm, nahm sie sich jeden einzelnen betroffenen Abgeordneten persönlich vor und verlangte Aufschluss. Nun will sie den Bericht erst einmal prüfen. "Ich sehe mich nicht in der Lage, bei 91 Abgeordneten nachzufragen, was sie im Einzelnen über die IuK-Pauschale abgerechnet haben." IuK - das ist die umstrittene Pauschale, mit der die Abgeordneten pro Legislaturperiode für 12.500 Euro technische Geräte anschaffen dürfen.

Lediglich die Grünen wollen auf Nummer sicher gehen, kündigt ihre Landtagsvizepräsidentin Christine Stahl an. Sie haben für diesen Mittwoch noch einmal eine Telefonkonferenz mit ihren Abgeordneten angesetzt - Gelegenheit zur Beichte, falls etwas wäre.

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SZ vom 14.08.2013/afis
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