Nach der Sicherungsverwahrung:Angst vor der Freiheit

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Zwei Pappkartons in der Hand und 40 Euro in der Tasche: Ein Mann wird in Niederbayern nach Jahrzehnten hinter Gittern wegen einer Gerichtsentscheidung plötzlich entlassen. Er hatte um eine Vorbereitung "auf die Welt da draußen" gebeten - vergeblich. Die Geschichte eines ehemaligen Sicherungsverwahrten.

Von Lukas Meyer-Blankenburg und Dietrich Mittler

In wenigen Stunden ist Martin Brommer ein freier Mann. Was er sich während der Haft und der Sicherungsverwahrung an Eigentum erworben hat, ist bereits in zwei Pappkartons verpackt: zwei Jeans, eine Lederjacke, Unterwäsche, ein paar Ersatzsocken, seine Musikanlage mit Alben von den Dire Straits, Pink Floyd und Nazareth sowie das wertvollste Stück, ein Flachbildfernseher.

Tiefe Augenränder überschatten Brommers Gesicht (Name geändert). Die bevorstehende Entlassung, die er einem Gerichtsbeschluss verdankt, löst zwei Gefühle in ihm aus: die Freude, wieder in Freiheit zu sein - und unverhohlene Wut. "Ich werde ohne Vorbereitung entlassen. Das ist doch kriminell", sagt er.

Brommer gehört zu jenen derzeit noch neun Männern, die in Bayern in den Bezirkskrankenhäusern Straubing und Erlangen nach den Vorgaben des Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) festgehalten werden. Dieses Gesetz trat Anfang 2011 in Kraft und regelt die Unterbringung von verurteilten Straftätern, die nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und einem daraus resultierenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) in Sicherungsverwahrung genommen werden dürfen.

Der Europäische Gerichtshof hatte es als Verstoß gegen die Menschenrechte erachtet, dass bei inhaftierten Straftätern in Deutschland nachträglich eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden konnte.

Um die Gesellschaft auch weiterhin vor als gefährlich eingestuften Kriminellen schützen zu können, wurde ein neues Gesetz eingebracht, das ThUG. Es gestattet, Straftäter auch nach Verbüßung ihrer Haftstrafe festzuhalten - unter einer Bedingung: Ein Gericht muss feststellen, dass die betreffende Person psychisch so gestört ist, dass sie andere Menschen gefährden könnte.

Der 50-jährige Martin Brommer wurde in diese Kategorie eingeordnet. Seit Mitte Dezember 2011 ist er im Bezirkskrankenhaus Straubing untergebracht. Sein Fall ist aber nicht vergleichbar mit jenem von Gustl Mollath, der als psychisch kranker Straftäter eingestuft wurde.

Seit dem 14. Lebensjahr hinter Gittern

Im Grunde sitzt Brommer seit seinem 14. Lebensjahr hinter Gittern - mit kurzen Unterbrechungen. Die Liste seiner Straftaten ist ebenso lang wie beängstigend: schwere Körperverletzung, Raub, Einbrüche, Vergewaltigung. Brommers Lebenslauf ist geradezu klassisch für eine kriminelle Laufbahn. Im Stakkato berichtet er über diese Zeit: "Heimaufenthalte, weitergereicht, sieben, acht Pflegeeltern, dann Jugendknast."

In einem der Heime, geführt von Patres, kam es zum Eklat. Brommer weigerte sich, im Kirchenchor mitzusingen. "Es hat Hiebe gegeben wie die Sau, das habe ich einige Wochen lang mitgemacht. Dann habe ich dem Pater, der mich so geprügelt hat, mit dem Billardqueue gescheit eins drübergehauen." Als die Polizei kam, um ihn abzuholen, sagte Brommer: "Bitte nehmt's mich mit."

Mit einigen späteren Delikten geriet er in die Schlagzeilen. Er war Teil jener Bande, die in Münchner Lokalen, etwa im Donisl, Gäste mit K.-o.-Tropfen betäubte und beraubte. "Ich habe schlimme Straftaten begangen", sagt er. Dass er dafür den größten Teil seines bisherigen Lebens hinter Gittern sitzen musste, akzeptiert er: "Ich bin zu Recht eingesperrt gewesen." Aber nun sei die Zeche bezahlt, und er wolle draußen ein neues Leben beginnen. "Doch wie?", fragt er sich.

Einem Richter teilte er vor gut einem Monat seine Bedenken mit: "Gespräche mit Personen von draußen finden nicht statt, obwohl ich vorschlug, welche von der Agentur für Arbeit, Sozialarbeiter, Bewährungshelfer usw. zu laden." Und da sei er kein Einzelfall. Vor ihm seien in Straubing bereits drei ThUG-Probanden "ohne jede Vorbereitung" rausgekommen. Das Bezirkskrankenhaus Straubing verweist hier auf die Rechtslage: In der Regel würden ThUG-Klienten zur Entlassungsvorbreitung in heimatnahe Bezirkskrankenhäuser verlegt. Werde aber die Entlassung durch ein Gericht angeordnet, so habe sie "unmittelbar zu erfolgen".

Brommer sagt, es wäre genug Zeit gewesen, ihn vorzubereiten. Er macht aus seiner Wut keinen Hehl. Nun werde er entlassen und verstehe "die Welt da draußen nicht".

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