Nach der Messerattacke von Töging:Der Täter wohnte bei der Oma

Matthias A. galt als sehr gefährlich und ist in einer Datenbank des bayerischen Innenministeriums registriert. Doch in dem Dorf, in dem er wohnte, wusste davon niemand.

Heiner Effern, Töging am Inn

"Der wollte mich verbrennen, der wollte mich verbrennen." Nachdem der Töginger Bürgermeister Horst Krebes die Worte wiederholt hat, die das 16-jährige Mädchen nach dem brutalen Überfall gesagt hat, weicht seine Betroffenheit schnell der Wut.

Nach der Messerattacke von Töging: Nach der Bluttat von Töging: Keiner im Ort wusste, dass Matthias A. schon mehrmals wegen Sexualdelikten verurteilt wurde.

Nach der Bluttat von Töging: Keiner im Ort wusste, dass Matthias A. schon mehrmals wegen Sexualdelikten verurteilt wurde.

(Foto: Foto: dpa)

"Warum", fragt der Bürgermeister, "kann so einer ohne Kenntnis der Kommune und der Menschen hier herumlaufen?" So einer wie Matthias A., 40, der am Dienstag gegen 17 Uhr die junge Frau in einem Maisfeld bei Töging zu vergewaltigen versuchte, ihr 20 Mal das Messer in den Körper stieß und sie mit Benzin übergoss, um sie bei lebendigem Leib zu verbrennen.

So einer wie Matthias A., der mehrmals wegen Sexualdelikten verurteilt ist und wegen des hohen Risikos, das von ihm ausgeht, in einer Gefährder-Datenbank des bayerischen Innenministeriums gespeichert ist. Bürgermeister Krebes sagt: "Der steht auch noch unter Datenschutz. Aber wer schützt die Bevölkerung?"

"Hohes Risiko für Gewalt"

Vor sich hat Krebes den Meldebogen von Matthias A. liegen, ausgestellt am 28. Oktober 2008. An diesem Tag zog der Mann von Göttingen zu seiner heute 91-jährigen Großmutter in den Weiler Unterhart bei Töging. Kein Wort steht da über eine kriminelle Laufbahn, die im Überfall auf das Mädchen gipfelte.

Das erste Urteil stammt vom 22. April 1988: 15 Monate Jugendstrafe sprach das Amtsgericht Braunschweig wegen Diebstahls und Brandstiftung gegen A. aus. Noch im selben Jahr legte er weitere Diebstähle, eine räuberische Erpressung und Raub nach, das gab drei Jahre Haft.

Am 6. August 1991 stand er erstmals wegen eines Sexualdelikts vor dem Amtsrichter, diesmal in Gifhorn. Er wird wegen versuchter sexueller Nötigung zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Nur zehn Tage nach dem Urteil vergewaltigte er eine 18-jährige Schülerin in einem Wald. Neben drei Jahren Haft wurde er zur Unterbringung in der Psychiatrie verurteilt.

Fast 14 Jahre versuchten sich die Ärzte an einer Therapie. Schon im Jahr 2000 zeichnete sich ihr Scheitern ab. Am 10. April versucht er auf einem Freigang, eine junge Frau zu entführen. Er will sie in den Kofferraum eines Autos drücken, sie wehrt sich, er versetzt ihr einen Faustschlag, sie fällt aufs Pflaster. Matthias A. flieht. "Ich steche dich ab", soll er gedroht haben.

Das Landgericht Göttingen verurteilte ihn im Mai 2001 zu einem Jahr und sechs Monaten Haft und erneuter psychiatrischer Unterbringung. Der Mann sei psychisch schwer gestört und gefährlich, soll im Gutachten stehen.

Doch am 19. Dezember 2005 nimmt das Leben für Matthias A. eine unerwartete Wende. An diesem Tag erklärte ein psychiatrischer Gutachter am Landgericht Saarbrücken, der Mann müsse nicht mehr in der Psychiatrie bleiben. Das Landgericht Saarbrücken folgt dieser Einschätzung. Die rechtliche Bewertung der Persönlichkeitsstörung, unter der Matthias A. leide, hatte sich geändert. Die Rechtslage sei "sehr unglücklich", aber eindeutig, heißt es beim Gericht.

Im selben Beschluss wird A. immer noch als so gefährlich eingeschätzt, dass er nach 14 Jahren in der Psychiatrie nicht freikommt, sondern seine Reststrafe absitzen muss. "Es bestand weiter ein hohes Risiko für Gewalt und Sexualstraftaten", sagte eine Gerichtssprecherin. Die seit 1992 zuständigen Staatsanwaltschaften in Hildesheim und Göttingen versuchten vergebens, für A. eine nachträgliche Sicherungsverwahrung zu erreichen. Sie scheiterten an der Rechtslage. Dann zog Matthias A. nach Töging.

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Blutflecken am Arm

Es ist nicht vorgesehen, die Menschen zu informieren, wenn ein rückfallgefährdeter Sexualtäter zuzieht. "Dafür gibt es keine Grundlage", heißt es im bayerischen Justizministerium. "Wir können nur die Öffentlichkeit informieren, wenn Gefahr im Verzug ist oder konkrete Hinweise auf eine neue Straftat vorliegen", sagt auch ein Sprecher des Innenministeriums. Beides war nicht der Fall.

Matthias A. wurde im Oktober 2008 entlassen und stand nach seinem Umzug von Dezember 2008 an unter Aufsicht des Landgerichts Traunstein. Die Auflagen waren streng: Er musste sich täglich zwischen 11 und 13 Uhr bei der Polizei melden, durfte die Landkreise Altötting und Traunstein nur mit Erlaubnis verlassen und musste jeden Wohnsitzwechsel melden. "Eine Information der betroffenen Kommune ist in der Aufsicht nicht vorgesehen", sagte ein Gerichtssprecher.

Klar ist jedoch mittlerweile auch, dass Matthias A. in der Datenbank "Heads" (Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter) des bayerischen Innenministeriums gespeichert ist. Ein Beamter der Kriminalpolizei Mühldorf führte deshalb regelmäßig Gespräche mit dem verurteilten Sexualstraftäter.

Blutflecken am Arm

Davon abgesehen konnte Matthias A. in Töging und Umgebung offenbar weitgehend unbehelligt leben. Bis auf eine Nachbarin soll niemand von seiner Vergangenheit gewusst haben. Der arbeitslose Mann fuhr auf seinem Rad mit den beiden blauen Satteltaschen durch die Gegend, besonders gerne in die nahen Auen des Inn hinunter. Oft telefonierte er mit dem Handy, seinen Blick beschreiben Anwohner als ausdruckslos.

Misstrauisch beäugt wurde Matthias A. schon, aber eher, weil man einen Diebstahl fürchtete oder glaubte, dass er in den Auen unten irgendwo eine kleine Drogenplantage betreibe.

Auch am Dienstagnachmittag fuhr er durch die Gegend, als der versuchte Mord, bei dem er möglicherweise von einem Bauern gestört wurde, bekannt wurde. Schnell verhaftet wurde er wohl auch, weil die Bewohner des kleinen Weilers Dorfen an seinem Arm Blutflecken erkannten und sich auf die Suche nach dem Mann machten. Als er wieder durch die paar Bauernhöfe zurückfahren wollte, verständigte eine Seniorbäuerin die nahe Polizei.

Bei der Festnahme ging es zu "wie in einem Krimi", sagt ihr Sohn. Auch er hat sich an der Jagd der Anwohner beteiligt, nachdem er seine Kinder aus dem Schwimmbad geholt und zu Hause in Sicherheit gebracht hatte. Das 16-jährige Opfer, eine Klassenkameradin seiner Tochter, ist nach Auskunft der Polizei außer Lebensgefahr.

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