Nach der Landtagswahl in Bayern:CSU rechnet mit ihrem Scharfmacher ab

German CSU leader Seehofer analyses Bavaria election loss

Will nicht mehr allein die Watschn von seiner Partei bekommen: CSU-Chef Horst Seehofer deutete erstmals einen möglichen Rücktritt an.

(Foto: Michele Tantussi/Reuters)
  • Horst Seehofer hat im Bayerischen Fernsehen gefordert, dass die CSU nach der Landtagswahl vor allem strukturelle Fragen beantworten müsse - und seinen möglichen Rückzug von der Parteispitze angedeutet.
  • Der Bezirksverband in Schwaben hatte zuvor die Forderung nach einem Sonderparteitag verabschiedet.
  • Auch Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Verkehrsminister Andreas Scheuer sind mittlerweile in die Kritk geraten.

Von Wolfgang Wittl

Der "BR-Stammtisch" kommt oft recht betulich daher, manchmal allerdings zu Unrecht. Jeden Sonntag zur Mittagszeit plaudert eine ausgewählte Runde im Bayerischen Fernsehen über Gott und die Welt, natürlich unter besonderer Berücksichtigung Bayerns und der politischen Verhältnisse, die sich vor einer Woche ja dramatisch verändert haben. Am Ende der Sendung darf dann jeder Teilnehmer erzählen, was ihn in jener Woche besonders gefreut oder geärgert hat.

Nun, sagt Horst Seehofer: Gefreut habe ihn, dass der FC Bayern wieder in die Erfolgsspur gefunden habe. Weniger schön finde er, dass sein Heimatverein FC Ingolstadt ein tristes Dasein am Tabellenende der zweiten Bundesliga friste. Fußball? Wer den CSU-Chef vorher reden hörte, dürfte sich spätestens jetzt gewundert haben. Denn da vermittelte Seehofer den Eindruck, dass ihn andere Sachen viel mehr geärgert haben - und zwar in seiner CSU.

Seehofer weist am Sonntag alle Anschuldigungen zurück, er trage die alleinige Verantwortung für das schlechte Abschneiden seiner Partei bei der Landtagswahl. Und er deutet erstmals seinen Rückzug an, sollte ihn die CSU trotzdem in Haftung nehmen wollen. "Noch mal mache ich einen Watschnbaum nicht", betont Seehofer: "Eher stelle ich mein Amt als Parteivorsitzender zur Verfügung - ich glaube, klarer kann man sich nicht ausdrücken." Selten hat ein Parteichef seinen politischen Überlebenskampf öffentlicher geführt.

Die Partei müsse vor allem strukturelle Fragen beantworten und keine personellen, fordert Seehofer. Dass die CSU um mehr als zehn Prozentpunkte auf 37,2 Prozent abstürzte, hat für ihn drei Gründe: Erstens, 2008 den Landtagseinzug der Freien Wähler, die sich etabliert hätten. Zweitens, die Flüchtlingspolitik 2015 mit dem Erstarken der AfD. Drittens, eine immer pluraler werdende Gesellschaft. Die CSU sei in Bayern "nicht mehr so verwurzelt wie früher", räumte Seehofer ein. Den Erfolg der Grünen erklärt er auch mit eigenen Defiziten. "Wir sind auf dem ökologischen Gebiet schwach. Wir können ja nicht einmal einen kleinen dritten Nationalpark ausweisen."

Es sei auch seine Verantwortung als Chef, dass "grünes Gedankengut noch nicht verankert" sei in der CSU. Gleichzeitig nimmt er für sich in Anspruch, dass er es gewesen sei, der gegen interne Widerstände den Donau-Ausbau und die dritte Start- und Landebahn am Münchner Flughafen verhindert und zurückgestellt habe. Über die derzeitigen personellen Debatten in der CSU sagt Seehofer: "Was mich ärgert, ist die oberflächliche Wahlanalyse, die viele anstellen." Als mahnendes Beispiel verweist er auf die andere frühere Volkspartei: "Die SPD hat immer die Köpfe ausgewechselt in den letzten Jahren, und es ist immer noch schlechter geworden, weil sie die Strukturen bei sich nicht verändert hat."

Ob Seehofer mit diesen Argumenten bei seinen innerparteilichen Gegnern durchdringt, wird in der CSU bezweifelt. Am Freitagabend verabschiedete in Schwaben der nächste Bezirksvorstand die Forderung nach einem Sonderparteitag, mit dem bemerkenswerten Satz: "Dieser Sonderparteitag muss auch über unsere Aufstellung für die kommenden Jahre entscheiden" - damit sei ausdrücklich Seehofers Zukunft gemeint, wie Teilnehmer berichten.

Dobrindt ist nicht mehr unumstritten

Der Beschluss sei übrigens mit Ministerpräsident Markus Söder abgestimmt, habe der schwäbische CSU-Chef Markus Ferber mitgeteilt. Alle Granden stimmten zu: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer und (ehemalige) Seehofer-Freunde wie der frühere Justizminister Alfred Sauter - auch das spiegelt die Stimmung in der Partei. In Oberfranken sei es ähnlich gewesen.

Die Kritik in den Bezirken richtet sich gegen weitere Berliner CSU-Politiker. Auch Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Verkehrsminister Andreas Scheuer werden angeklagt: Dobrindt wegen seiner harten Linie im Asylstreit, Scheuer wegen seiner unglücklichen Rolle im Diesel-Skandal. "Er hat einen Kompromiss verabschiedet, den keiner von uns an den Wahlständen erklären konnte", rüffelt ein CSU-Mann. Viel massiver sind die Vorwürfe gegen Dobrindt. Er trage die Hauptschuld am "Scharfmacherkurs", die Landesgruppe müsse nun "Kraft entwickeln", fordert ein bayerischer CSU-Mann.

Es ist offensichtlich, was damit gemeint ist: Die Landesgruppe müsse ihren Chef in die Schranken weisen, notfalls bis zur Ablösung. Das dürfte nicht so leicht sein. Dobrindt ist für vier Jahre gewählt, unumstritten ist er aber nicht mehr im eigenen Laden. Das zeigte die Sitzung in der vorigen Woche, als mehr als ein halbes Dutzend junger Abgeordnete offen gegen ihn Stellung bezog - eigentlich ein Affront gegen seine Autorität.

Seehofer bedauerte am Sonntag den Stil, nicht aber den Inhalt des Asylstreits. Die ganze CSU habe ihn aufgefordert, "in diese Richtung tätig zu werden" - allen voran die Landtagsfraktion und Staatsregierung um Söder. Trotzdem zeigt sein Entlastungsangriff kaum Wirkung in der Partei. Wenn Seehofer sein Amt zur Verfügung stellen wolle, dann werde das den ohnehin unvermeidlichen Prozess nur beschleunigen, sagt ein Vorstandsmitglied kühl. Fest steht: Ein Sonderparteitag wird frühestens einberufen, wenn die Koalitionsverhandlungen mit den Freien Wählern abgeschlossen sind. Sie werden an diesem Montag mit den Themen Wirtschaft, Energie, Gesundheit und Pflege fortgesetzt.

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