Nach dem Amoklauf von Ansbach:Der Tag der Apokalypse

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Nach dem Amoklauf steht die Stadt Ansbach unter Schock. Die Schüler trauern, die Polizei ermittelt und alle stellen sich die Frage. Was für ein Mensch war der Täter Georg R.?

U. Ritzer und O. Przybilla, Ansbach

Verschüchtert huschen zwei Mädchen, vielleicht zwölf Jahre alt, Arm in Arm an den vielen Polizisten vorbei, die ihre Schule belagern. Rotweißes Absperrband umgibt das Ansbacher Carolinum-Gymnasium. Diese Schule ist keine Schule mehr. Sie ist ein Tatort.

Trauernde Schülerinnen vor dem Ansbacher Gymnasium Carolinum (Foto: Foto: dpa)

Es wird noch lange dauern, bis hier wieder Alltag einkehren wird, Normalität. Jetzt, am Tag nach dem Amoklauf, wird erst deutlich, was Georg R., Schüler dieses Gymnasiums, tatsächlich vorhatte.

Der 18-Jährige wollte, dass in Ansbach die Welt untergeht. "Apokalypse today", so steht es auf einem Kalenderblatt, das Polizisten im Zimmer des Amokläufers gefunden haben. Datum: 17. September 2009. Am Ende dieses Tages hatte er zehn Menschen verletzt, zwei von ihnen lebensgefährlich.

Es war der Tag, als Georg R. und seine Mitschüler zu einer Klassenfahrt nach Rom aufbrechen wollten. Der Gymnasiast wollte dann aber offenbar schon nicht mehr leben. Er hatte ein Testament verfasst. "Die typischen Regelungen für den Fall des Todes", sagt Oberstaatsanwältin Gudrun Lehnberger. Wer bekommt was.

Am 11. September hatte er es formuliert. "9/11", stand darauf, auf amerikanische Weise geschrieben, wie das Datum der Terroranschläge von New York im Jahr 2001. Sechs Tage später drang er dann mit fünf Brandsätzen, mehreren Messern und einer Axt in seine Schule ein. Als ob er in den Krieg ziehen wollte.

Zwei Schüler erzählen, wie sie Georg R. am Donnerstag an einem Fenster des Toilettenraums gesehen haben. "Er grinste auf uns herunter", sagt einer. Kurz zuvor hatte R. nach Angaben der Ermittler Brandsätze in die Klassenzimmer geworfen, zuerst in den Raum der 10b, dann der 9c. Er knallte die Tür zu und wartete, bis die Mitschüler panisch aus den Zimmern flüchteten. Dann schlug er zu.

Zwei Schülerinnen aus der Klasse 10b, beide 15 Jahre alt, verletzte er schwer. Sieben Stunden lang operierten Ärzte des Nürnberger Klinikums das eine Mädchen, das durch einen Axthieb am Kopf schwer verletzt worden war. Erst am Freitagmittag meldeten die Ärzte, die Schülerin sei außer Lebensgefahr. Auch ihrer Klassenkameradin, die durch die Brandbomben verletzt wurde, gehe es besser.

Auch R. ist außer Lebensgefahr. Ein Polizist hatte ihn mit fünf Schüssen aus der Maschinenpistole gestoppt. Er musste notoperiert werden. Die Ärzte versetzten ihn in ein künstliches Koma. Vorerst ist er nicht vernehmungsfähig.

Hinter den blassroten Schulmauern haben die Schüler damit begonnen, die Tat aufzuarbeiten. In den Klassenzimmern liegen noch die Schultaschen und Rucksäcke herum, die zurückblieben, als Schüler und Lehrer um ihr Leben rennen mussten. Wer war dieser Georg R., der ihnen das angetan hat?

Franz Stark, der Direktor, tut sich schwer. Er hat Georg R. in der Mittelstufe selbst unterrichtet. Ein durchschnittlicher Schüler, seine Leistungen waren in Ordnung. Fragt man ihn, ob Georg R. ein Einzelgänger war, dann antwortet Stark: "Er galt zumindest als introvertiert."

Aber ein klassischer Einzelgänger? "Das ist vielleicht die Sicht der Schüler", sagt der Schulleiter. In Kursen soll er gelegentlich alleine gesessen haben, ohne Sitznachbar.

Mitschüler erzählen: Georg R., das sei der Junge mit dem schwarzen Mantel, der nicht viel mit anderen zu tun haben wollte und lieber Heavy Metal Musik hörte. Er, der bei Mädchen nicht ankam. Auf Freizeiten soll er sich abgesondert haben.

Georg R. hatte Probleme, so viel steht fest. Er war in Behandlung bei einem Psychotherapeuten. Aber warum und seit wann, das sagt Oberstaatsanwältin Lehnberger nicht. "Das Motiv des Täters ist Spekulation", erklärt sie. Vielleicht wird R. selbst irgendwann Antworten auf die Fragen geben. Es ist selten, dass ein Amokläufer seine Tat überlebt.

R. lebt am Rand der Residenzstadt Ansbach. Das schlichte Mehrfamilienhaus steht an einer Einfallstraße, nur gut einen Kilometer vom Tatort entfernt. Es ist eine gute Wohngegend. Nun bewacht eine Zivilstreife das Haus, nicht weit entfernt steht ein Mannschaftswagen.

Gemeinsam mit seiner Mutter und den beiden Schwestern lebt Georg R. in dem Haus. Die ältere Schwester hat am Carolinum ihr Abitur gemacht, auch die jüngere besucht jenes humanistische Gymnasium, das ihr Bruder zum Tatort machte.

Seit mehren Jahren, so erzählt es eine Nachbarin, leben die beiden Eltern in Scheidung. Aber von größerem Ärger im Nachbarhaus hat sie nichts mitbekommen. "Die Partner hatten ein gutes Verhältnis", sagt sie.

Eine andere Frau aus der Straße sagt: "So lange ich den Georg gekannt habe, war das ein lieber und ein netter Busche." Der Vater des Täters wohnt in einem Nachbarhaus in derselben Straße. Beide Eltern schweigen bislang zur Tat ihres Sohnes.

Die Staatsanwaltschaft rechnete damit, dass noch am Freitag Haftbefehl gegen Georg R. wegen versuchten Mordes in zehn Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung erlassen wird.

Viele Schüler zündeten vor dem Schulgebäude am Freitag Kerzen an und legten weiße und rote Rosen nieder. Für Schüler, Lehrer und Angehörige der Opfer des Amoklaufs von Ansbach findet am Sonntag ein ökumenischer Gottesdienst statt.

Rektor Stark sagt, man wolle jetzt schnell wieder zur Normalität zurückkehren. Seine Schule will er am Montag wieder öffnen: "Wer es nicht erträgt, in die Schule zu kommen, kann zu Hause bleiben". Am Wochenende wird im Gebäude aufgeräumt.

© SZ vom 19.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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