Nach Angriff im Jobcenter:28-Jähriger kaufte Messer direkt vor der Tat

Toter bei Messerattacke in Jobcenter

Das Jobcenter in Rothenburg ob der Tauber.

(Foto: dpa)
  • Am Tag nach der tödlichen Messerattacke im Jobcenter von Rothenburg herrscht Fassungslosigkeit in der Kleinstadt.
  • Wie die Ermittlungen ergeben haben, kaufte sich der Mann das Messer erst direkt vor der Tat - nach einem Termin mit dem späteren Opfer.
  • Am Donnerstag wurde Haftbefehl gegen den 28-Jährigen erlassen.

Von Olaf Przybilla, Rothenburg ob der Tauber

Am Tag danach ist Walter Hartl immer noch wie betäubt. Der Oberbürgermeister weiß natürlich, was Menschen mit Rothenburg ob der Tauber verbinden: Die Kleinstadt gilt geradezu als Inbegriff von Beschaulichkeit, ein mittelalterliches Juwel, das die Leute schätzen, weil dort die Welt noch ein bisschen geordneter zu sein scheint als sonst wo. Und, ja, das auch: Weil man in den Gassen der Stadt den Advent noch etwas altertümlicher feiern kann als andernorts. Am Mittwoch nun hat ein junger Mann einen Mitarbeiter eines Jobcenters erstochen, mitten in Rothenburg. "Das macht einen völlig fassungslos", sagt der Oberbürgermeister.

Wobei Hartl das gerne trennen möchte. So eine Tat, sagt er, mache einen überall sprachlos, egal wo und egal wann. Und trotzdem: In der Stadt, in der es passiert ist, sind 2,9 Prozent der Menschen arbeitslos, in der üblichen Sprachregelung entspricht das praktisch Vollbeschäftigung. In der Kriminalstatistik gilt das Städtchen als eines der sichersten in Bayern. Von einem sozialen Brennpunkt kann in Rothenburg also keine Rede sein.

Da wird es einem, sagt Hartl, dann "doch noch einmal sehr bewusst, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt". Auch in einem überschaubaren Jobcenter mit sieben festangestellten Mitarbeitern nicht. In einem Center also, in dem sich die Klienten und die Berater in vielen Fällen über lange Zeiträume kennen, miteinander vertraut sind.

Patentlösungen? Gibt es nicht

Das ist es auch, was Uwe Lehmensiek umtreibt, den Vorsitzenden der Personalräte an deutschen Jobcentern. Für ihn spielt es eben schon eine Rolle, wo sich diese Tat nun ereignet hat: Rothenburg. Da wisse selbst er, in Niedersachsen zu Hause, dass man "da bestimmt nicht von einem Brennpunkt" sprechen könne. Umso mehr hofft er nun auf eine neue Debatte über Sicherheitsvorkehrungen in solchen Einrichtungen.

Es gebe da bestimmt keine Patentlösungen, sagt Lehmensiek, aber eines müsse inzwischen allen klar sein: "Am Geld darf es am Ende nicht scheitern." Etwa wenn man darüber rede, wie Räume in Jobcenter gestaltet und gegebenenfalls umgebaut werden müssen, um den Mitarbeitern ein Mindestmaß an Sicherheit bieten zu können. Oder bei den Themen: Wo sind die Fluchtwege? Gibt es Türen zwischen Beratungszimmern, die man bei schwierigen Kunden notfalls auflassen kann?

Sicherheitsschleusen wie an bayerischen Gerichten aber, nein, das hält Lehmensiek für keine praktikable Lösung. Und Beratungsgespräche hinter Glaswänden ebenfalls nicht. Das sehe ja nach Generalverdacht aus, das sei bestimmt nicht die Lösung. Und trotzdem: "Es ist gut und richtig, dass wir nach so einer Tat noch mal alles überdenken", sagt der Personalrat, "dieser Mittwoch in Rothenburg hat jetzt alles noch mal aufgewühlt."

Was man über den Angreifer weiß

Mit Informationen über den 28 Jahre alten arbeitslosen Mann, der mehrfach auf einen 61 Jahre alten Mitarbeiter des Jobcenters eingestochen hatte, hält sich die Staatsanwaltschaft weiter zurück. Psychiatrische Auffälligkeiten kläre man noch ab, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt, Gerhard Karl. Um zu erfahren, ob er unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln gestanden hat und um seine Schuldfähigkeit zu klären, wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben.

Der 28-Jähre sei zwar bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten, nicht aber in erheblichem Ausmaß. Inwiefern der mutmaßliche Täter schon vor Mittwoch mit dem Sachverständigen aus dem Jobcenter zu tun hatte, sei noch Gegenstand der Ermittlungen. Ebenso das Motiv.

Messer extra für die Tat gekauft

Der 28-Jährige musste am Donnerstag weiter in einem Würzburger Krankenhaus versorgt werden. Man habe den Mann in Ansbach vernehmen wollen, sagt Karl, er sei aber noch nicht transportfähig gewesen. Er hat sich bislang nicht zur Sache geäußert. Der 28-Jährige hatte um 11:15 Uhr einen Termin beim Gutachter. Anwesend war auch eine Arbeitsvermittlerin.

Etwa eine halbe Stunde später verließ er das Jobcenter für kurze Zeit. Nach zirka zehn Minuten kehrte er dann mit einem Küchenmesser zurück und stach im Büro der Arbeitsvermittlerin unvermittelt auf den Gutachter ein. Das Messer hatte der 28-Jährige in einem nahe gelegenen Geschäft gekauft. Am Donnerstag erging Haftbefehl. Derzeit geht die Staatsanwaltschaft von einer geplanten Tat aus, also von Mord.

Der Gutachter, der mehrere Jahre in der Klinik für Forensische Psychiatrie im Bezirksklinikum Ansbach tätig war, war im Jobcenter nicht fest angestellt. Er wurde dort als externer Sachverständiger angefordert, am Mittwoch hatte er sich mit dem 28-Jährigen zu einem Treffen verabredet. Gutachter werden von Jobcentern unter anderem dann angefordert, wenn festgestellt werden soll, ob Langzeitarbeitslose für eine bestimmte Tätigkeit psychologisch geeignet sind. Am Donnerstag wurde sein Leichnam obduziert. Er ist demnach an mehreren Messerstichen gestorben.

Glaswände, Metalldetektoren, Kameras wären falsche Reaktion

Matthias Klar, Sprecher der Arbeitsagentur in Nürnberg, hat lange selbst als Berater in einem Jobcenter gearbeitet. Glaswände, Metalldetektoren, Kameras? Hielte er für die völlig falsche Reaktion. Da entstehe womöglich erst ein Gefühl latenter Bedrohung. So, als stünde man sich als Gegner auf den beiden Seiten des Tisches gegenüber.

Gerade die Unsicherheit beim Berater könne Unsicherheit beim Kunden auslösen. Je mehr sich eine Behörde einmauere, desto verspannter werde das Verhältnis zur Kundschaft. Und kleine Jobcenter auf dem Land, mit weniger als zehn Mitarbeitern, könne man eben auch nicht mit einem permanenten Sicherheitsdienst überwachen. Im größten Jobcenter in Nürnberg gibt es so einen Dienst, im Wesentlichen ist es ein Mann. "Der strahlt Sicherheit aus", sagt Klar.

Im Rothenburger Jobcenter, das nach der Tat vorläufig geschlossen bleibt, gibt es Alarmknöpfe für die Mitarbeiter, es wird ein Deeskalationstraining angeboten und Schulungen, wie man mit schwierigen Kunden umgehen kann. Einen Mann vom Sicherheitsdienst aber gibt es dort nicht.

Zunahme an Gewalt nicht nachweisbar

Eine Zunahme an Gewalt in Jobcentern? Mag nach solchen Taten so wirken, sei aber statistisch nicht feststellbar, sagt eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Übergriffe auf Mitarbeiter, das stehe fest, "gibt es nicht erst seit der Einführung von Hartz IV".

Und natürlich habe man etwa nach der furchtbaren Tat im niederrheinischen Neuss 2012, als ein Mann eine Mitarbeiterin eines Jobcenters erstochen hat, die Sicherheitskonzepte überarbeitet. Und Handreichungen verteilt. Grundsätzlich aber überlasse man es den Centern, wie sie für Sicherheit sorgen. Zumal der Jobcenter in Rothenburg vom Kreis Ansbach getragen wird, die Bundesagentur also nicht direkt beteiligt ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: