Mysteriöser Absturz im Jahr 1945:Der letzte Flug der Condor "Hessen"

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(Foto: sz)
  • Am 21. April 1945 hob in Berlin-Tempelhof eine Lufthansa-Maschine ab. Wegen eines Orkans war die Landung in München unmöglich. Die Condor Hessen stürzte in Südbayern ab - was aber erst Jahre später bekannt wurde.
  • Offiziell aber blieb es jahrelang verschollen. Es wurde spekuliert, an Bord seien Nazibonzen gewesen, die sich aus Berlin absetzen wollten.
  • Die Menschen aus der Region um die Absturzstelle wussten von dem Wrack. Die Kunde drang aber nicht zu den amtlichen Stellen.
  • Erst 1949 kam durch einen Zufall heraus, wo die Condor Hessen abgestürzt war.

Von Hans Kratzer, Piesenkofen

Nach höllischen Kämpfen auf den Seelower Höhen ist die Rote Armee am 21. April 1945 in die Hauptstadt Berlin eingerückt. Alles bebte und brannte, es gab kein Entrinnen mehr. Eines der wenigen Schlupflöcher aus dem Inferno bot der Flughafen Tempelhof, wo um 20.25 Uhr eine viermotorige Condor in Richtung München startete.

Dieser Flug war vom Anfang bis zum Ende ein Mysterium, er sollte viele Jahre lang Fragen aufwerfen. Am Steuer saß Flugkapitän August Künstle, einer der erfahrensten Piloten der damaligen Lufthansa. Allerdings tobte in dieser Nacht ein Orkan, der die geplante Landung in München-Riem verhinderte. Künstle musste kurz vor dem Ziel wieder abdrehen, seine letzten Funkzeichen wurden um 22.07 Uhr aufgefangen.

Wer war in dem Flugzeug mitgeflogen?

Der Pilot hielt verzweifelt Ausschau nach einem Landeplatz im Hügelland zwischen Ober- und Niederbayern. Dem Flieger drohte eine Havarie, ein Außenmotor brannte lichterloh. Dann sprengte eine Explosion die Tragfläche ab, woraufhin der Flugkapitän versuchte, die Maschine hochzuziehen. Vergeblich. Kurz darauf stürzte die Condor fast senkrecht in einen Wald. Metertief bohrte sich der Rumpf in den Boden. Drei Tage lang habe das Wrack gebrannt, berichteten Augenzeugen, das Waldstück habe nach Sprit, verbranntem Kunststoff und Verschmortem gerochen.

Die Insassen hatten keine Chance. Es half ihnen nichts, dass die abgestürzte Condor Hessen seinerzeit eines der größten und modernsten Flugzeuge Europas war. Weil es sich um die letzte Lufthansa-Maschine handelte, die das kriegswunde Berlin verlassen hatte, schossen Spekulationen ins Kraut.

Wer war in diesem Flugzeug mitgeflogen? Welche Dokumente befanden sich darin? Sollte die Maschine von München nach Spanien weiterfliegen? Um den Flug der Condor Hessen rankte sich ein Kranz von ungeklärten Fragen.

Es fielen die Namen Hitler und Goebbels

Sofort kursierte das Gerücht, Nazi-Bonzen hätten sich an Bord befunden. Dabei fielen auch die Namen Hitler und Goebbels. Noch jahrelang wurde an den Stammtischen spekuliert. Augenzeugen erzählten, einige Tote hätten Ledermäntel getragen, wie man sie normalerweise nur bei führenden Mitgliedern der NSDAP sah.

Im Piesenkofener Wald, in dem das Flugzeug vor 70 Jahren abstürzte, hat der Sturm Niklas vor wenigen Wochen so manche Fichte umgeknickt. Nun hallen Axtschläge durchs Gehölz, die kaputten Bäume müssen raus, bevor der Borkenkäfer über sie herfällt. Endlich jemand, den man nach dem Weg fragen kann. "Entschuldigung, können Sie mir helfen, hier in der Nähe muss ein Flugzeug abgestürzt sein, 1945!" "Ach was willst denn", murrt einer der Männer, "vor 70 Jahren, da waren wir noch ned geboren, wir wissen da nix."

Eine Region wusste vom Absturz, die Behörden aber nicht

"Hier wurde nie gerne über den Absturz geredet", sagt der Heimatforscher Peter Käser, der sich seit langem mit dem Unglück vom 21. April 1945 beschäftigt. "Es ist heute unbegreiflich, dass eine ganze Region vom Absturz einer großen viermotorigen Passagiermaschine wusste - und dass die amtlichen Stellen dennoch keine Information erreichte." Tatsächlich lag das Schicksal der Condor Hessen jahrelang im Dunkeln. Die Legende, Hitler sei an Bord der verschwundenen Maschine gewesen, wurde munter weitergesponnen. Weltweit wurde nach dem Flieger gesucht, nur nicht in Piesenkofen.

Um dieses Kuriosum zu verstehen, muss man sich die damaligen Umstände vor Augen halten. Der Flieger stürzte 14 Tage vor Kriegsende ab. In vielen Dörfern in Südbayern waren Flüchtlinge einquartiert, die SS verbreitete Schrecken, dazu die Angst vor den anrückenden Amerikanern. Luftkrieg und Flugzeugabstürze gehörten seit 1944 zum Alltag auf dem Land.

Die verbrannten Leichen schreckten niemanden ab

Die Horrorbilder, die verbrannten Piloten und Besatzungen schreckten aber niemanden ab. Denn in den Flugzeugen waren nützliche Dinge zu holen, aus der Ballonseide der Fallschirme konnte man zum Beispiel Kleider nähen. Und Metall war in jener Zeit des Mangels so wertvoll wie Gold. Auch die Absturzstelle in Piesenkofen war mit kostbaren Trümmern übersät.

Aus einem Polizeibericht geht hervor, dass die Leichenreste neben der Absturzstelle begraben wurden. Und dass zwei angebrannte Aktentaschen Ausweise und Geheimpapiere des Reichssicherheitshauptamtes enthielten. Allerdings gingen diese Informationen in den Wirren des Kriegsendes unter. Die bei der Polizei in Neumarkt-Sankt Veit lagernden Gegenstände wurden im Herbst 1945 von US-Militärangehörigen abgeholt. Die Recherchen über den Verbleib der Condor Hessen wurden im Sommer 1949 eingestellt.

Zuletzt half der Zufall

Zuletzt half der Zufall. Im November 1949 legte ein Ungar bei der Stadtverwaltung Neumarkt-St. Veit einen Versicherungsschein vor, ausgestellt auf den Namen August Künstle. Der Beamte wurde misstrauisch: War dieses Dokument an der Absturzstelle bei Piesenkofen entwendet worden? Fünf Jahre nach dem Unglück wurde es langsam zur Gewissheit: Das dortige Wrack war die Condor Hessen.

Am 18. Januar 1952 wurden die im Waldboden verscharrten Leichen exhumiert und auf einen nahen Friedhof überführt. Merkwürdig war das Fehlen jeglicher Totenschädel. Peter Käser vermutet, dass US-Soldaten die Schädel mitgenommen haben, um Aufschluss über die Identität der Toten zu bekommen. Die Liste der Passagiere ist bis heute unvollständig.

Vermutlich sind 25 Menschen ums Leben gekommen, unter ihnen spanische Botschaftsangehörige, Mitglieder der Lufthansa-Flugbetriebsleitung sowie deren Angehörige. Im Flieger saß laut Käser aber auch ein SS-Standartenführer, der Geheimpapiere nach Spanien bringen sollte.

Welche Spuren heute noch zu sehen sind

In einer Tasche wurde überdies der Ausweis des SS-Standartenführers Eugen Steimle gefunden, das hat der Film-Autor Dirk Pohlmann 2012 bei Recherchen in US-Archiven herausgefunden. Steimle war als Leiter von Sonderkommandos für Massenmorde in der Sowjetunion verantwortlich. Er saß aber keineswegs im Flieger, sein Ausweis sollte wohl in Spanien hinterlegt werden, wie Käser vermutet.

Pohlmann legt in einem Dokumentarfilm dar, dass der US-Geheimdienst CIA während des Kalten Krieges zahlreiche ehemalige Nazis für Operationen gegen den Kommunismus rekrutiert hat. Steimle, der 1948 in Nürnberg zum Tode verurteilt wurde, konnte im Juni 1954 das Kriegsverbrechergefängnis Landsberg verlassen, um fortan als Lehrer in Wilhelmsdorf zu wirken.

Im Piesenkofener Wald zeugen mehrere Krater bis heute von der Tragödie vom 21. April 1945, die neben ihrer lokalen auch eine erst wenig aufgearbeitete globalpolitische Komponente besitzt. Ungeachtet dessen errichtete der Kunstschmied Josef Scheidhammer vor zehn Jahren am Unglücksort eine Bronzestele zum Gedenken an die Absturzopfer. Gelegentlich gibt der Boden noch Überreste der Maschine und ihrer Fracht frei. Beim Blick nach oben bildet ein großes ovales Loch in den Wipfeln die Umrisse des herabfallenden Fliegers ab.

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