Süddeutsche Zeitung

Musik:Heavy Metal und Afrobeat

Das Projekt "Rock the Nations" will Geflüchteten ein Ventil bieten

Interview von Clara Lipkowski

Leben in bayerischen "Ankerzentren" heißt oft Warten auf den Asylbescheid. André Keller, 40, den alle Levi nennen, will Abwechslung bieten und musiziert mit Bewohnern im Projekt "Rock The Nations".

SZ: Levi, Sie als Heavy Metal-Musiker haben Rock The Nations mitgegründet. Müssen die Bewohner im Ankerzentrum jetzt alle AC/DC spielen und Iron Maiden?

Levi: Ne. Ganz im Gegenteil! Wir sind eigentlich etwas vom Rock weggekommen, weil von den Musikern viel Afrobeat zu hören ist. Und Reggae. Wir haben denen auch natürlich mal Sachen von uns aus dem Rock-Bereich gegeben. Aber es sind alle Musikstile vertreten und willkommen.

Sie haben das Projekt im Januar 2020 gestartet. Es ging los - und dann kam Covid.

Oh ja. Vor Corona haben wir uns wöchentlich zwei-, dreimal getroffen im Proberaum. Im ersten Lockdown haben wir dann gespendete Instrumente auf die Zimmer verteilt, damit jeder Musiker weiter üben kann. Dann haben wir versucht, sie zu motivieren: Spielt doch mal was ein, macht davon ein paar Videos. Wir haben Laptops verteilt. Und eine Schnitzeljagd veranstaltet, den Bewohnern in der Quarantäne 14 Tage lang täglich neue Aufgaben gestellt. Das Problem war aber die Technik. Im "Ankerzentrum" gibt es zurzeit nur zwei Wlan-Hotspots. Online-Proben, Unterricht geben oder Videos loszuschicken, ist da natürlich schwierig.

Frauen gibt es bei dem Projekt keine?

Leider im Moment nicht. Es waren kurz mal zwei Damen bei uns, die singen wollten. Sie sind da etwas zurückhaltender.

Konnten Sie sich denn zuletzt treffen?

Wir haben während der Quarantänen öfter Essen gebracht. Die Jungs haben uns Einkaufszettel gegeben und dann haben wir uns kurz am Tor getroffen. Proben durften wir zeitweise nicht mehr. Dann haben wir uns eher zur Kaffeerunde im Proberaum getroffen. Aber an die Bewohner heranzukommen, das ging zwischenzeitlich kaum.

Man sagt ja etwas kitschig, Musik braucht keine Sprache, man verständigt sich über die Instrumente.

Ja, das stimmt. Mit drei Musikern von der Elfenbeinküste war es am Anfang schwierig, weil wir selbst kein Französisch können. Aber mit der Musik kommt man immer irgendwie zu einem Konsens und am Schluss hat man einen Song. Da funktioniert die musikalische Sprache schon.

Das Ziel ist, eigene Stücke zu schreiben?

Wir haben am Anfang ein paar Cover-Songs probiert. Aber nachdem fünf der Jungs in der Nähe an der Bayerischen Musikakademie in Hammelburg waren, haben sie angefangen zu komponieren. Einer hat ein Stück über Missstände in Afrika geschrieben. So versuchen wir es weiter.

Welche Rolle spielen Fluchterfahrungen oder das Ankommen in Deutschland?

Das ist nicht leicht. Ich habe versucht, im Gespräch etwas über Fluchtgründe, den Weg nach Deutschland zu erfahren. Da bin ich vorsichtiger geworden. Wir warten jetzt mehr, dass die Menschen etwas von sich preisgeben. Manchmal erfahren wir, was für traumatische Zustände bei der Flucht geherrscht haben, da sagen wir: Da sollte dringend mal ein Psychologe ran. Bei einem ist der beste Freund auf dem Mittelmeer neben ihm untergegangen. Einmal sind nur 50 Prozent von einem Boot auf einem Rettungsschiff angekommen, der Rest ist ertrunken. Man braucht da selber ein dickes Fell, um sich das anzuhören.

Das Musikmachen ist ja auch ein Auseinandersetzen mit sich selbst.

Wir hatten anfangs überlegt, mit den Jungs Fußball zu spielen, aber die sind uns dann doch zu schnell. Wir wollen mit den Aufgaben, die wir ihnen stellen, einen annähernd geregelten Ablauf in den Tag bekommen. Damit sie wissen, was sie morgen machen können. Und zur Musik gehört, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Ob es jetzt Traurigkeit ist oder Wut. Wir versuchen, ihnen da ein Ventil zu geben. Und: neben dem Musikalischen auch bei ihren privaten Belangen zu helfen.

Wie halten Sie jetzt Ihre Gruppe zusammen? Per Whatsapp?

Das auch, aber hauptsächlich über unsere Facebook-Seite. Und wir schreiben Transfer-Briefe an die Regierung. Wir bitten darum, die Musiker nach dem "Ankerzentrum" in der Gegend zu lassen. Zwei sind mittlerweile in Schweinfurt, einer in Bad Kissingen, einer in Kitzingen. Einer von ihnen schreibt Hip-Hop-Songs, den versuchen wir an die Würzburger Hip-Hop-Szene zu vermitteln. Zwischenzeitlich war der Musikunterricht wieder freigegeben, da haben wir Einzelproben mit der Musikschule "WiMu" aus Würzburg organisiert. Und jetzt gilt es, die Musiker weiter zu unterstützen, bis es wieder losgehen kann.

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Quelle:
SZ vom 28.04.2021
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