Museum über Nürnberger Prozesse:Vor den Augen der Welt

Einblicke in den wohl berühmtesten Gerichtssaal der Welt: Das öffentliche Interesse am historischen Schauplatz der Nürnberger Prozesse ist seit Jahren groß - nun eröffnet die Stadt im Justizpalast ein Museum.

Olaf Przybilla

Als Tag für den Beginn des Weltgerichts hatten die Alliierten den 20. November 1945 festgelegt. An dem Tag reiste auch Erich Kästner nach Nürnberg, und wer seine Notizen über den Prozessbeginn gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher liest, der bekommt einen Eindruck davon, dass Sicherheitsvorkehrungen beileibe keine Erfindung des 21. Jahrhunderts sind. "Nur Menschen mit Spezialausweisen dürfen passieren. Im Erdgeschoss ist scharfe Kontrolle. Im ersten Stock ist scharfe Kontrolle. Endlich stehe ich im Saal", berichtete Kästner in der Neuen Zeitung .

Zeugenaussage Oswald Pohl

Das Gerichtsgebäude wurde abgeriegelt. Die Alliierten griffen auf den Saal 600 zurück, weil der Justizpalast samt Gefängnis unzerstört geblieben war. Dort fanden auch Nachfolgeprozesse statt, etwa gegen Oswald Pohl, Chef des SS-Wirtschaftsverwaltungsamtes.

(Foto: Museen der Stadt Nürnberg)

65 Jahre und einen Tag danach dürfte das am Sonntag kaum anders sein im Justizpalast an der Fürther Straße. Zur Eröffnung des "Memorium Nürnberger Prozesse" erwartet die Stadt mehrere Staatsgäste, darunter auch Außenminister Guido Westerwelle und seinen russischen Amtskollegen Sergej Wiktorowitsch Lawrow.

"Der Saal ist warm, luxuriös, er glänzt in seidigem Licht", so notierte Kästners US-Kollege John Dos Passos für die Zeitschrift Life . Auch das dürfte am Sonntag ähnlich sein, die Zahl derer aber, die im Saal Platz nehmen dürfen, wird wesentlich geringer sein als noch 1945.

Denn für den Prozess gegen 21 NS-Kriegsverbrecher hatten die Alliierten Tribünen einbauen und die hintere Wand des Schwurgerichtssaals einreißen lassen, Journalisten - darunter Kästner, Dos Passos und Willy Brandt - konnten das Geschehen dadurch vor Ort verfolgen. Am Wochenende werden Berichterstatter in kleineren Sälen sitzen und die Reden auf Leinwänden verfolgen. "Der Saal 600 ist für die internationalen Delegationen reserviert", sagt Hans-Christian Täubrich.

Täubrich ist der Mann, der das Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände vor neun Jahren als Leiter eröffnet hat, das Interesse war damals ähnlich immens. Im letzten Ausstellungsraum des Doku-Zentrums ist zwar verwiesen auf die "Nürnberger Prozesse", befriedigend aber war diese Lösung nie.

Seit die Stadt offensiv für den Besuch der NS-Ruinen von Nürnberg wirbt, wurde der Leidensdruck noch größer. "Immer wieder standen Touristen aus den USA oder aus Israel vor dem Schwurgerichtssaal, mussten aber weggeschickt werden", erzählt Julia Lehner, Kulturreferentin der Stadt Nürnberg.

"Öffentliches Interesse ohne passendes Museum"

Mit der Eröffnung des "Memoriums", für dessen wissenschaftliche Begleitung wieder Hans-Christian Täubrich verantwortlichen zeichnet, soll das nun der Vergangenheit angehören. "Viele haben ein Museum ohne öffentliches Interesse", sagt Oberbürgermeister Ulrich Maly, "wir hatten in Nürnberg zuletzt öffentliches Interesse ohne passendes Museum."

Bewachung des Eingangs

"Nur Menschen mit Spezialausweisen dürfen passieren. Im Erdgeschoss ist scharfe Kontrolle. Im ersten Stock ist scharfe Kontrolle. Endlich stehe ich im Saal", berichtete Erich Kästner über die Sicherheitsvorkehrungen.

(Foto: museen der stadt nuernberg)

Täubrich, kleine ovale Brille, blauer Schal, steht im Dachgeschoss des Justizpalastes, hinter ihm dröhnt ein Bohrer. Das Dachgeschoss ist alles andere als ein perfekter Ort für ein Museum, und Täubrich weiß das. Es ist düster dort oben über dem Schwurgerichtssaal, die Wände sind schräg, und auf 750 Quadratmetern Fläche sind Vorgeschichte, Verlauf und welthistorische Bedeutung des Prozesses allenfalls in Grundzügen darstellbar.

Andererseits haben die Museumsleute der Stadt auch um dieses kleine Haus kämpfen müssen. Denn der Palast gehört der Justiz, und die sitzt im Ostflügel des Hauses mehrmals pro Woche zu Gericht. Im Saal 600 werden die Kapitalverbrechen verhandelt, am Donnerstag - drei Tage vor Eröffnung des Memoriums - soll hier das Urteil über einen Vater fallen, der seine drei Jahre alte Tochter Sarah verhungern ließ.

Würde dieses Urteil um ein paar Tage verschoben, was vor Gericht immer möglich ist, dann könnten schon die ersten Besucher des Memoriums vor den verschlossenen Türen des Saales 600 stehen. Auch die vier Luken, durch die Museumsbesucher in den wohl berühmtesten Gerichtssaal der Welt blicken können, würden in dem Fall nichts helfen. Denn wenn dort verhandelt wird, dann werden die Scheiben über dem Saal verdunkelt, per Knopfdruck.

Täubrich holt tief Luft, wenn man ihn auf diese eigenwillige Konstruktion anspricht. "Wir werden auch künftig keinen Einfluss darauf haben, wann in Franken Kapitalverbrechen geschehen und wann diese vor Gericht verhandelt werden", sagt der Museumsleiter. Man könne deshalb nur hoffen , "dass der Druck steigt für eine andere Lösung". Zwar hat das bayerische Justizministerium ein Grundstück in der Nähe des Nürnberger Justizpalastes erworben, möglicherweise entstehen dort künftig Räume, in denen ebenfalls große Prozesse verhandelt werden können.

Zettel, auf denen Angeklagte unterschrieben

Der Hauptanklagevertreter

Der US-Chefankläger Robert Jackson verlas im November 1945 die Anklage gegen 21 Beschuldigte, darunter auch Hermann Göring.

(Foto: museen der stadt nuernberg)

Ob und wann das der Fall sein wird, weiß derzeit allerdings niemand zu sagen. So müssen die Besucher des Museums vorerst mit der Aussage leben, dass sie "sehr kurzfristig" erfahren werden, ob sie im Justizpalast ein Dachgeschoss mit Stellwänden, historischem Filmmaterial und virtuellem Saalrundgang zu sehen bekommen. Oder auch jenen Saal, in dem sich "Reichsmarschall" Hermann Göring, Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, Großadmiral Karl Dönitz, Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, NS-Architekt Albert Speer und Stürmer -Herausgeber Julius Streicher sowie 15 weitere Repräsentanten des NS-Staates vor den Augen der Weltöffentlichkeit verantworten mussten.

Den Saal nicht betreten zu können wäre umso ärgerlicher, weil im engen Dachgeschoss kaum Platz sein wird für historische Gegenstände: Die Anklagebank für Göring, Heß und Dönitz wird dort zu sehen sein. Auch eine der Holzkisten, in denen die Dokumente des US-Chefanklägers Robert Jackson transportiert wurden. Und Zettel, Postkarten nicht unähnlich, auf denen die Angeklagten unterschrieben haben, offenbar als kleine Erinnerung für Prozessbeobachter.

Das Haus kombiniere "die Macht des Ortes - des Saales 600 - mit der Macht der Sprache", sagt Nürnbergs Museumsleiter Matthias Henkel.Im Dachgeschoss soll deshalb primär erklärt werden: Warum die Alliierten Nürnberg für den Prozess ausgewählt haben - entscheidend war wohl nicht der Bezug zu den NS-Parteitagen, sondern die Existenz eines nicht zerstörten Justizpalastes samt Gefängnis.

Erklärt wird die Auswahl der angeklagten NS-Repräsentanten, nach den Selbstmorden von Hitler und Goebbels. Der Gang der Verhandlung wird geschildert, er dauerte 218 Prozesstage, die Vervielfältigung der Schriftstücke verschlang fünf Millionen Blatt vom knappen Nachkriegspapier. Und auch der Bedeutung des Ortes wird ein Raum gewidmet sein: Als Schauplatz stelle dieser "nicht weniger dar als den Ursprung der Welt-Strafgerichtsbarkeit", urteilt der Historiker Eckart Dietzfelbinger.

Dokumente von Journalisten, auch die Notizen Kästners, werden ebenfalls ausgestellt sein. Möglicherweise stößt man auch auf den Bericht des Korrespondenten Xiao Qian: Der notierte 1945, Nürnberg erinnere ihn an Peking, "nicht nur der alten krummen Stadtmauer wegen".

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