Mukoviszidose:Wenn Kranke mehr als 100 Kilometer zum Arzt fahren müssen

Mukoviszidose-Patient Erwin Martin

Zum Leben von Erwin Martin gehört der Schlauch zum Sauerstoffgerät.

(Foto: Nicolas Armer)
  • Erwin Martin hat Mukoviszidose, eine Krankheit, bei der infolge eines Gendefekts in vielen Organen zäher Schleim produziert wird.
  • Bisher musste der 51-Jährige alle sechs Wochen 45 Kilometer ins Klinikum nach Erlangen fahren, seit Anfang des Jahres geht das für erwachsene Patienten nicht mehr.
  • Der Muskoviszidose-Verband hat nun eine Petition gestartet. Sie ist bis Freitag unter epetitionen.bundestag.de und unter muko.de zu finden.

Von Annalena Ehrlicher und Korbinian Eisenberger, Litzendorf/München

Zwischen den Nasenflügeln und dem Sauerstoffgerät liegen 15 Meter Schlauch. Er pumpt Sauerstoff in die Lunge, und er ist lang genug, damit man in alle Räume gehen kann ohne dass er spannt. Litzendorf bei Bamberg, ein Häuschen mitten in Oberfranken, Schnittblumen auf dem Tisch, der Kamin knackt, die Wände sind orange gestrichen. Das Haus strahlt Wärme aus, die Wanduhr tickt, das schwere Atemgerät brummt. An dieses Haus ist Erwin Martin gebunden, der Mann am Schlauch. Es ist sein Gefängnis, und gleichzeitig seine Burg.

Der 51-Jährige hat Mukoviszidose, eine Krankheit, bei der infolge eines Gendefekts in vielen Organen zäher Schleim produziert wird. Wegen seiner eingeschränkten Lungenfunktion braucht Martin ein Sauerstoffgerät, zu den Symptomen der Krankheit gehört zudem eine hohe Anfälligkeit für Infekte. Wenn Gäste kommen, umarmt Martin sie nicht, er schüttelt keine Hände. Keime, die den meisten Menschen nichts ausmachen, können bei ihm lebensgefährliche Infektionen auslösen. Martin geht nicht einkaufen, kein Christkindlmarkt, keine Spaziergänge. "Außer Haus ist es gefährlich", sagt er. Das Haus verlässt er fast nur, wenn er in die Klinik muss.

Erwin Martin und seine Frau Birgit haben sich an vieles gewöhnt. Daran, dass seine Lunge durch Schleim blockiert ist, dass sie ihn deswegen alle sechs Wochen ins 45 Kilometer entfernte Erlangen in die Klinik fahren muss. Die beiden sind seit 13 Jahren verheiratet, irgendwie haben sie das alles immer hinbekommen, sagt Birgit Martin. Jetzt kommt auf sie aber etwas zu, für das keine Lösung in Sicht ist: Seit Anfang des Jahres dürfen erwachsene Mukoviszidose-Patienten nicht mehr wie bisher im Sozialpädiatrischen Zentrum der Uniklinik in Erlangen ambulant behandelt werden. Um dieselbe Qualität in der Behandlung zu bekommen, müssen sie nach Würzburg oder München ausweichen.

Für Erwin Martin ist das ein Problem, selbst wenn er dort einen Platz bekäme. "Wenn er krank ist, verschlimmert sich der Zustand so schnell, dass wir es manchmal nur mit Mühe nach Erlangen geschafft haben", sagt seine Frau. Allein für das vergangene Jahr haben die Martins 5000 Kilometer an Arztfahrten dokumentiert, seine Krankengeschichte ist in Ordnerreihen aufbewahrt. Seit 48 Jahren ist Martin am Uniklinikum Erlangen in Behandlung, kennt Ärzte und Pfleger, ist mit vielen per Du. Vergangenes Jahr fasste dann der Zulassungsausschuss Ärzte Mittelfranken den Beschluss, das Arrangement für erwachsene Mukoviszidose-Patienten in Erlangen zu beenden. Da half auch eine Demo des Deutschen Mukoviszidose-Verbands nichts.

Die Patienten sollen auf andere Kliniken verteilt werden, Würzburg und München. Auf die Kinderklinik München Schwabing könnte einiges zukommen. Die Leiterin der Ambulanz, Anna Elisabeth Vogl-Voswinckel, betreut derzeit 65 Mukoviszidose-Patienten - 30 davon jünger als 18 Jahre. Für einen Fall wie den von Erwin Martin "ist eine konstante, auf Vertrauen basierte ambulante Versorgung absolut zentral", sagt sie, "idealerweise vor Ort." Ob sie noch mehr Patienten betreuen könne? Die 63-Jährige erzählt, dass sie schon jetzt 600 Überstunden im Jahr mache.

Mukoviszidose war einst eine Krankheit, die Patienten im besten Fall 15 Jahre alt werden ließ. Dank des medizinischen Fortschritts, auch dank der Erfahrungswerte, die an Einrichtungen wie dem Sozialpädiatrischen Zentrum der Uniklinik Erlangen gesammelt wurden, können Menschen wie Erwin Martin mittlerweile "das Rentenalter erreichen", sagt Vogl-Voswinckel. Die medizinische Versorgung eines Mukoviszidose-Patienten - in Bayern sind das mehr als 930 - kostet pro Jahr zwischen 200 000 und 270 000 Euro. "99 Prozent davon gehen in Medikamente", sagt Heinrich Iro, ärztlicher Direktor des Uniklinikums Erlangen, diese Kosten werden komplett von den Kassen übernommen.

Mukoviszidose-Patient Erwin Martin

Seit 13 Jahren sind Erwin Martin und seine Frau Birgit verheiratet - irgendwie haben sie das Leben mit Erwings Krankheit immer hinbekommen. Jetzt wird alles noch komplizierter.

(Foto: Nicolas Armer)

Der Knackpunkt sind die verbleibenden Kosten für ambulante Routinebehandlungen, laut einer Studie des Deutschen Mukoviszidose-Verbands sind das durchschnittlich 2000 Euro pro Jahr und Patient. "Für Kinder werden die Kosten übernommen - bei Erwachsenen aber nur ein kleiner Teil", sagt Stephan Kruip, Vorsitzender des Verbands. Für die Erlanger Uniklinik galt eine Ausnahmeregelung, die Klinik finanzierte dort stillschweigend die Behandlung der volljährigen Patienten. Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts ließ sich diese Praxis aber nicht länger fortsetzen - weswegen Menschen wie Erwin Martin jetzt ein Problem haben.

"Der Fehler liegt im System, es braucht eine bundesweite Regelung", sagt Kruip, der die Krankheit selbst hat und sich für die Rechte der 8000 Mukoviszidose-Patienten in Deutschland einsetzt. Fortschritte erhofft er sich von einer Petition, die sein Verband kürzlich beim Bundestag eingereicht hat. Die Forderung: Der Bundestag soll eine Struktur schaffen, die "die medizinische Versorgung der Mukoviszidose-Patienten und ihre Finanzierung bundesweit absichert". Kruip hofft, dass es für Kliniken rentabel wird, sich für die aufwendigen Bedürfnisse einzurichten, sodass Patienten wie Martin keine zweieinhalbstündige Fahrt nach München riskieren müssen.

Die Krankenkassen bemühen sich "intensiv"

Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml hatte Anfang Dezember das Ziel ausgegeben, "dass die Behandlung erwachsener Mukoviszidose-Patienten zukunftssicher ausgestaltet wird" und eine "baldige Einigung" in Aussicht gestellt. Barmer und AOK teilen auf Nachfrage mit, dass sich die Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bayern "intensiv um eine patientenorientierte Lösung" bemühe. Ein erster Verhandlungstermin ist für Ende März angesetzt.

Wie es im Sommer weitergehen soll? Erwin Martin zuckt mit den Schultern, der Schlauch vibriert. Manchmal kommen Rheumaschübe und Herzrhythmusstörungen auf, dann muss er tageweise mit Schlauch im Rollstuhl sitzen. "Aber alles in allem bin ich doch recht gut beisammen", sagt er. Ein Lächeln. Nachts kann er den Schlauch neuerdings ablegen, er zieht eine Beatmungsmaske auf. Seine Frau sagt: "Mein eigener Darth Vader."

Die "Petition 69295" ist bis Freitag unter diesem Link und unter muko.de zur Unterzeichnung zu finden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: