Mukoviszidose:Erwachsen aus dem System

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Früher wurden Menschen mit Mukoviszidose kaum älter als 15 Jahre, doch dank der modernen Medizin gibt es längst viele volljährige Patienten. In Erlangen müssen die nun befürchten, dass die Kassen ihre spezielle Behandlung nicht mehr bezahlen

Von Dietrich Mittler, München

Es ist ungemütlich an diesem Donnerstagnachmittag in Erlangen. Doch Stephan Kruip und seine 70 Mitstreiter wollen vor dem Klinikgebäude in der Loschgestraße durchhalten - zum einen für die Rechte aller rund 8000 Mukoviszidose-Patienten in Deutschland. Zum anderen aber für sich persönlich als Menschen, die seit ihrer Kindheit an jener Krankheit leiden, die Buben und Mädchen einst im besten Fall 15 Jahre alt werden ließ. Dank des medizinischen Fortschritts, aber auch dank der Kompetenz des Sozialpädiatrischen Zentrums der Universitätsklinik Erlangen stehen die Demonstranten als erwachsene Männer und Frauen vor dem Haus. Denn sie haben Angst: Bisher zahlten die Kassen die Behandlung dort auch für jene weiter, die volljährig geworden waren. Damit ist seit Anfang Juli Schluss.

"Meine Schwester, die ebenfalls an Mukoviszidose erkrankt war, ist im Alter von sechs Jahren gestorben", sagt Kruip. Er ist mittlerweile 51 Jahre alt, und keiner sieht ihm seine Krankheit an, bei der die Atemwege ständig durch zähen Schleim blockiert zu werden drohen. Kruip ist kürzlich bei einem Marathon mitgelaufen. "Aber ich bin ein Sonderfall", sagt Kruip, der für die Demo extra aus München angereist ist. Er ist Vorsitzender des bundesweit tätigen Vereins "Mukoviszidose". Sport helfe in seinem Fall, die Krankheit einzudämmen. Aber längst nicht jeder seiner Leidensgenossen habe dieses Glück. "Keiner weiß genau, woran das liegt", sagt Kruip. Und dann ist er bei jenen, die nun Angst haben, dass ihnen ihre bewährte Behandlung wegbricht. Entsprechend sarkastisch wählt Kruip seine Worte. "Das Gesundheitssystem gibt uns das Signal: Wir wollen eigentlich gar nicht, dass ihr erwachsen werdet", sagt er.

Für die Steuerung der ärztlichen Versorgung ist der Zulassungsausschuss Ärzte Mittelfranken zuständig - paritätisch besetzt aus Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen. Dass der Ausschuss am 15. Juni zu der Entscheidung kam, der Erlanger Lösung ein Ende zu bereiten, das kann Kruip sogar verstehen. Die Erlanger Lösung bestand nämlich darin, die Behandlung jener Mukoviszidose-Patienten still und heimlich weiter zu bezahlen, die trotz Erreichens der Volljährigkeit im Sozialpädiatrischen Zentrum behandelt wurden. Doch diese Praxis ließ sich nach einem Urteil des Bundessozialgerichts nicht länger fortsetzen. Wenig Verständnis hat Kruip indes für den Hinweis des Zulassungsausschusses, es bestehe "selbstverständlich auch die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung durch vor Ort ansässige Vertragsärzte, zum Beispiel Pneumologen."

"Für Mukoviszidose-Patienten reicht es einfach nicht, zu einem niedergelassenen Lungenfacharzt zu gehen", sagt Kruip. Hilfreich seien einzig spezielle interdisziplinäre Teams, zu denen auch Physiotherapeuten, Ernährungsberater und eine ganze Reihe von Fachärzten gehören. Aber die Mukoviszidose-Ambulanzen, die genau dieses Angebot machen, sind rar gesät. Für Kinder gibt es in Bayern zehn solcher Einrichtungen, für Erwachsene kommen nur fünf in Betracht. "Unter den Erlanger Mukoviszidose-Patienten sind einige so schwer krank, dass sie die Strecke in die nächste Ambulanz nach Würzburg oder München nicht mehr fahren können", sagt Kruip. Mindestens alle drei Monate aber müssten sich alle Betroffenen durchchecken lassen, ob die Medikamentation noch stimmt oder ob sich die Krankheit verschlimmert hat. Viele müssten sogar öfter zur Untersuchung. Mit Schuldzuweisungen hält sich Kruip indes zurück. "Es handelt sich hier um ein Systemversagen im Gesundheitswesen", sagt er. Vor 25 Jahren habe Christiane Herzog, die Frau des Bundespräsidenten Roman Herzog, als Fürsprecherin der Mukoviszidose-Erkrankten gesagt: "Kinder müssen sterben, weil das Geld fehlt." Nun seien die Kinder ausreichend versorgt. Und die erwachsenen Patienten?

"Das Absurde ist, dass es jetzt nicht einmal an Geld fehlt", sagt Kruip. Inzwischen gebe es neue Medikamente, die 180 000 Euro pro Jahr und Patient kosteten. "Die müssen die Kassen zahlen, aber nicht - wie nun hier in Erlangen - die relativ kostengünstige Behandlung der volljährig gewordenen Patienten in der Kinderklinik, die den Erfolg der Therapie überwacht", sagt Kruip. Sein Folgeschluss: "Es scheitert nicht am Geld, es scheitert am System." So denkt auch Heinrich Iro, der Ärztliche Direktor des Uniklinikums Erlangen. "Der finanzielle Aufwand für uns, die Patienten zu betreuen, das macht gerade mal ein Prozent der Medikamentenkosten aus", sagt Iro. Die Medikamente einberechnet, koste die Behandlung eines Mukoviszidose-Patienten - in Bayern sind das mehr als 930 - pro Jahr zwischen 200 000 und 270 000 Euro.

Durch die Entscheidung des Zulassungsausschusses zahle sein Haus für die Behandlung der volljährig gewordenen Mukoviszidose-Patienten allein in diesem Jahr schätzungsweise 150 000 Euro drauf. "Wir haben keinen Geldsack im Keller, auch wir müssen kostendeckend arbeiten", sagt Iro. Er ist in einer Zwickmühle. Einerseits muss er den Kassen drohen, die Behandlung einzuschränken, um an Geld heranzukommen. Anderseits weckt dieses Verhandlungsgebaren Ängste bei den betroffenen Patienten. Doch hier steht Iro ganz klar auf der Position: "Wir lassen unsere Patienten nicht hängen. Wir behandeln sie derzeit weiter. Aber wir zahlen drauf."

Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml drängt auf eine Lösung: "Mein Ziel ist, dass die Behandlung erwachsener Mukoviszidose-Patienten zukunftssicher ausgestaltet wird. Ich setze darauf, dass es hier zu einer baldigen Einigung kommen wird", sagte sie.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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