Bahnstrecke:Applaus für den Kranführer

Bahnstrecke: Eine Woche benötigten die Arbeiter, um den riesigen Kran in Wangen aufzubauen. Der hebt ein 280 Tonnen schweres Brückenbauteil in die Höhe und setzt es ein.

Eine Woche benötigten die Arbeiter, um den riesigen Kran in Wangen aufzubauen. Der hebt ein 280 Tonnen schweres Brückenbauteil in die Höhe und setzt es ein.

(Foto: Marco Völklein)

Von Dezember 2020 an sollen Reisende zwischen München und Zürich nur dreieinhalb Stunden unterwegs sein. Dafür lässt die Deutsche Bahn die Strecke nach Lindau ertüchtigen. Ein Baustellenbesuch.

Von Marco Völklein, Wangen

Irgendwann am späten Montagvormittag schwebt das 280 Tonnen schwere Bauteil dann hoch über den Köpfen der vielen Wangener, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollen. Eine Woche lang hat es gedauert, bis eine Spezialfirma den 650-Tonnen-Kran an der Bahnüberführung an der Lindauer Straße in Wangen aufgebaut hat, nun also ist es so weit: Der Kranführer lässt den Motor an und hebt langsam, Stück für Stück, das neue Brückenteil in die Luft. Dann dreht er den Kran, auch das schön langsam, und lässt ihn auf dicken Holzbohlen ein Stückchen nach vorne rollen. Am Ende senkt er das Brückenteil langsam ab und setzt es passgenau auf die Widerlager des Brückenbauwerks auf. "Hat gut geklappt", sagt Projektleiter Matthias Gunsch zufrieden. Wieder ist ein wichtiger Abschnitt erledigt auf der Großbaustelle an der 157 Kilometer langen Bahnstrecke München-Lindau.

Diese lässt die Deutsche Bahn (DB) für 650 Millionen Euro nicht nur mit einer Oberleitung ausstatten, vielmehr noch werden Brücken erneuert und Gleisanlagen saniert, Bahnhöfe werden aufgehübscht und Fußgängerunterführungen neu errichtet. Zum Jahresende 2020 soll dann alles fertig sein. Dann wird der Schweizer Bahnbetreiber SBB seine Fernzüge nach München nicht mehr mit Dieselloks bestücken, sondern Schnelltriebwagen mit Neigetechnik einsetzen; statt viereinhalb werden die Reisenden zwischen Zürich und München dann nur noch dreieinhalb Stunden unterwegs sein. Von Wangen, Leutkirch, Memmingen oder Buchloe aus werden von Dezember 2021 an schnellere Regionalzugverbindungen angeboten; dann wird der britische Bahnbetreiber Go-Ahead den Betrieb des Schienennahverkehrs in der Region mit elektrischen Triebzügen aufnehmen.

Bahnstrecke: Bitte absenken: Ganz langsam lässt der Kranführer das Bauteil für die erneuerte Eisenbahnbrücke über die Lindauer Straße in Wangen herab.

Bitte absenken: Ganz langsam lässt der Kranführer das Bauteil für die erneuerte Eisenbahnbrücke über die Lindauer Straße in Wangen herab.

(Foto: Marco Völklein)

Bis dahin allerdings haben die Arbeiter an der Ausbaustrecke noch eine ganze Menge zu erledigen. In Wangen zum Beispiel wurde zwar am Montag der Oberbau an der Bahnbrücke über die Lindauer Straße eingesetzt, etwa 200 Meter weiter südlich davon, dort, wo die in den 1880er-Jahren errichtete Bahnstrecke über den Fluss Obere Argen führt, steht aber im Frühjahr 2020 ein weiterer Kraftakt an.

Derzeit überqueren die Züge auf einer Brücke, die noch aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammt, den Fluss. Direkt daneben sind Arbeiter bereits damit beschäftigt, die Pfeiler und Widerlager einer neuen Brücke zu betonieren. Bis zum kommenden Februar, sagt Projektleiter Gunsch, wird die Bahn dort ein komplett neues, 116 Meter langes Brückenbauwerk errichten. Anschließend werden Bagger die alte Stahlfachwerkbrücke samt Stützen aus Sandstein abreißen - und schließlich den direkt daneben errichteten Neubau gut 13 Meter horizontal nach Südwesten verschieben - also exakt an die Stelle, an der die alte Brücke stand. Drei Stunden wird die Verschiebeaktion für das 5200 Tonnen schwere Bauwerk dauern, sagt Gunsch. Und ähnlich wie zuletzt werden wieder Hunderte Bürger aus Wangen und Umgebung die Aktion beobachten. Am Montag hatten einige Schaulustige dem Kranführer applaudiert, als der das tonnenschwere Brückenteil abgesetzt hatte.

Aber nicht nur im württembergischen Wangen, auch auf bayerischer Seite wird derzeit an der Strecke noch intensiv gebaut. In Lindau zum Beispiel errichtet die DB im Stadtteil Reutin einen neuen Fernbahnhof, auch zahlreiche Bahnübergänge werden umgebaut. Der neue Bahnhof war lange umstritten, ebenso die Frage, ob der alte Bahnhof auf der Altstadtinsel aufgegeben werden soll oder nicht. Nun bleibt der Inselbahnhof, wenngleich die Gleisanlagen zurückgestutzt werden. Der neue Halt in Reutin aber, kritisiert Winfried Karg vom Fahrgastverband Pro Bahn, sei mit nur vier Gleisen und zwei Bahnsteigen zu klein bemessen.

Das neue Stellwerk geht nun wohl erst Mitte Dezember ans Netz

Dort entstehe ein "vorprogrammiertes Nadelöhr". Zudem fordert Karg, die Ausbaustrecke so auszulegen, dass die SBB-Züge im Stundentakt fahren. Bislang ist nur ein Zug alle zwei Stunden geplant. Wer sich, wie die Bundesregierung darauf festgelegt habe, die Fahrgastzahlen im Bahnfernverkehr bis 2030 zu verdoppeln, der dürfe "nicht mit angezogener Handbremse unterwegs sein". Ohnehin lief das Ausbauprojekt nach Jahren der Diskussion und des Streits um die Finanzierung ja nur an, weil die Schweiz ein Millionendarlehen angeboten hatte. Bedingung der Schweizer war aber, dass die Strecke bis zum Jahr 2020 ertüchtigt sein muss.

Daher geben die DB-Planer nun Gas. In Lindau zum Beispiel wird neben dem neuen Bahnhof auch ein komplett neues Stellwerk errichtet. Bislang steuern Fahrdienstleiter von sechs meist mechanischen Stellwerken aus den Verkehr - über Seilzüge und Umlenkrollen, also mit Technik aus dem vorletzten Jahrhundert. Künftig soll das alles elektronisch laufen, ferngesteuert aus Immenstadt, von wo aus weitere Fahrdienstleiter auch den Verkehr auf Teilen der Ausbaustrecke überwachen. Ganz reibungslos allerdings läuft die Inbetriebnahme der neuen Technik noch nicht.

Ursprünglich hatte Michael Katz, der Projektleiter in Lindau, geplant, das elektronische Stellwerk Anfang September in Betrieb zu nehmen. Doch daraus wird nun nichts, weil eine Baufirma es nicht geschafft hatte, die Stromversorgung rechtzeitig fertigzustellen. Somit verschob sich der Zeitplan, das neue Stellwerk geht nun wohl erst Mitte Dezember ans Netz. Das bringt die Bauleute in die Bredouille: Denn eigentlich hatten sie schon Teile der alten Technik abgebaut, nun müssen sie einzelne Drahtseile noch einmal neu spannen, damit die Weichen und Signale bis Mitte Dezember weiter aus den alten Stellwerken heraus bedient werden können. Das große Ziel aber, versichert Projektleiter Katz, gerate nicht in Verzug: Von Dezember 2020 an werden die Neigetechnikzüge der SBB rollen. Katz sagt: "Das schaffen wir."

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