Nürnberg und München:Protest gegen geplantes Hochschulgesetz

In München (Foto) und Nürnberg haben mehrere Hundert Menschen ihrem Unmut über die Pläne der Staatsregierung Luft gemacht.

In München (Foto) und Nürnberg haben mehrere Hundert Menschen ihrem Unmut über die Pläne der Staatsregierung Luft gemacht.

(Foto: Florian Peljak)

Die Demonstranten befürchten den Verlust der Selbstverwaltung, Nachteile in der Lehre und zu viel Macht für die Präsidenten der Hochschulen. Wissenschaftsminister Sibler versucht zu beruhigen.

Von Anna Günther und Sabine Buchwald

"Gesellschaftliche Verantwortung statt ökonomischem Mehrwert" - wer am Dienstag in München oder Nürnberg unterwegs war, konnte diese und andere Botschaften auf Plakaten erboster Demonstranten lesen. Insgesamt demonstrierten 300 Menschen gegen das Hochschulinnovationsgesetz der Staatsregierung. Das Gesetz liegt noch nicht vor, aber der Widerstand gegen die Eckpunkte wächst seit Wochen. Zu den Kundgebungen aufgerufen hatte die "Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften", die Nachteile für ihre Disziplinen fürchtet und eine entsprechende Online-Petition lancierte, die knapp 4000 Menschen unterzeichnet haben. Außerdem kursieren ein offener Brief, den binnen 24 Stunden 200 Professoren unterzeichneten, und eine Resolution zur Hochschulreform, die von 32 Professoren quer durch Fachgebiete und bayerische Unis unterschrieben wurde.

An den Universitäten gärt es kräftig. Auch an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HaW) soll die Stimmung durchwachsen sein. Die Landesastenkonferenz arbeitet gemeinsam mit dem akademischen Mittelbau an einem kritischen Papier mit konstruktiven Vorschlägen. Dabei hatte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Unis und Hochschulen gerade erst gelobt, weil sie klaglos das Digitalsemester umsetzen. Wenige Tage später machen die Professoren ihrem Frust gegen Söders Lieblingsprojekt, die große Hochschulreform,  Luft.

Mit dem neuen Gesetz sollen bayerische Hochschulen agiler werden, schneller, freier und bald in einer Liga mit Harvard oder Cambridge spielen. Davon verspricht sich die Staatsregierung beste Forschung und beste Geschäfte für Bayerns Wirtschaft. Die Kernaufgaben der Hochschulen sollen künftig als Forschung, Lehre und - das ist neu - Transfer sein. Am Transfer reiben sich die Kritiker besonders: Sie fürchten eine Zwei-Klassen-Gesellschaft an den Hochschulen, wenn künftig nach dem Nutzen eines Faches und dessen Transfer für die Wirtschaft Budget und Stellen verteilt werden. Dabei würden Geistes- und Sozialwissenschaften wie Kunsthochschulen ins Hintertreffen geraten, fürchten die Kritiker.

Der zweite große Aufreger ist die Organisationsstruktur, einzelne Gruppen in den Hochschulen befürchten abgehängt zu werden vom Entscheidungsprozess. Die bisherige Gremienstruktur soll nicht mehr vorgeschrieben sein, die Hochschulen sollen ihre Organisation selbst entwickeln. Das klingt für Skeptiker nach Übermacht der Präsidenten. Damit diese schnelle Entscheidungen treffen können, gibt der Freistaat sogar Kontrollrechte ab. Die Hochschulen sollen in ungekannte Freiheit entlassen und eigenständige Körperschaften des öffentlichen Rechts werden, der Freistaat hätte nur noch die Rechtsaufsicht inne. Dabei ist die Beteiligung der Professoren an Entscheidungen zu Forschung und Lehre im Grundgesetz festgelegt, die Partizipation der Studenten steht in Artikel 138 der bayerischen Verfassung.

Den Unterzeichnern der Resolution um den Münchner Professor Martin Schulze Wessel geht es um die Beteiligung aller Gruppen, also auch des Mittelbaus. Sie schreiben: Partizipation bedeute nicht Anhörung der Mitglieder, sondern die Möglichkeit an Organisations- und Haushaltsentscheidungen der Uni effektiv mitzuwirken. "Die Selbstverwaltung zur Disposition zu stellen und künftig dem Präsidium und dem Hochschulrat zu überlassen", sei der falsche Weg, sagt Schulze Wessel. Dadurch nehme die demokratische Kultur Schaden.

Viele Hochschulchefs können der Freiheit etwas abgewinnen, mittlerweile aber scheint sich auch bei Befürwortern der Reform die Stimmung zu drehen: Sie beklagen Hektik und Druck in der heißen Phase des Corona-Digitalsemesters, in dem sie nebenbei die milliardenschwere Hightech-Agenda umsetzen sollen. Die Reform lähme die Hochschulen für Jahre. Das neue Gesetz soll im Frühjahr 2021 fertig sein und im Sommer in Kraft treten. Und offenbar überlegt das Ministerium, mit der Reform automatisch alle Universitäten und HaW zu Körperschaften öffentlichen Rechts umzuwandeln. Hochschulen, die das nicht wollen, sollen zurückwechseln in die Staatsaufsicht. Dieses potenzielle Stigma missfällt den Unipräsidenten.

Minister Sibler versucht zu beruhigen, noch sei nichts in Stein gemeißelt

Nach dem Kabinettsentscheid sprach Wissenschaftsminister Bernd Sibler noch davon, dass die Hochschulen entscheiden, ob und wann sie Körperschaft oder Stiftungshochschule werden. Zögerliche sollen sukzessive den Mutigen nachfolgen können. "Angesichts der großen Herausforderungen erscheint es kaum vorstellbar, zusätzlich und kurzfristig einen umfassenden Transformationsprozess in Gang zu setzen", sagt auch Sabine Doering-Manteuffel, Sprecherin der bayerischen Unis und Augsburgs Unipräsidentin. Zumal niemand wisse, ob dies gelinge. Sie spricht von vielen offenen Fragen, die derzeit nicht beantwortet würden.

Sibler versucht zu beruhigen, noch sei nichts in Stein gemeißelt, keine Hochschule müsse zur Körperschaft werden. Von Hektik will er nichts hören, man habe im Oktober 2019 mit der Reform begonnen. Allerdings war erst in diesem Sommer klar, wie umfassend die Änderungen sein sollen. Sibler zeigt sich betont gesprächsbereit. Aber einige unterstellen der Regierung sogar Absicht beim Zeitplan, damit sich der Widerstand an den Unis nicht voll entfalten kann. "Das Problem ist, dass man so was immer in Zeiten legt, in denen Unis wehrlos sind", sagt auch Max-Emanuel Geis, Landesvorsitzender des Deutschen Hochschulverbands und Professor für Hochschulrecht in Erlangen. Aber der Widerstand formiere sich überall, viele hätten erkannt, dass jetzt schon fürs Gesetz "Pflöcke" in den Boden gerammt werden.

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