Süddeutsche Zeitung

Kernkraftwerk Isar 2:Chaotische Atomdebatte

Die Energiekrise spitzt sich zu. Politik und Kraftwerksbetreiber müssen deshalb endlich klar sagen, wie es mit Isar 2 weitergeht.

Kommentar von Sebastian Beck

Geht das Kernkraftwerk Isar 2 am Ende des Jahres vom Netz oder nicht? Obwohl die Frage längst entschieden zu sein scheint, kocht der Streit darüber erst richtig hoch, seit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das Thema gewissermaßen als politische Energiequelle für sich entdeckt haben. Kraftwerkschef Carsten Müller hat unlängst im Landtag erklärt, dass Ende Mai die Frist für eine Laufzeitverlängerung von Isar 2 ablaufe.

Das Datum ist verstrichen, doch Söder attackiert Bundeskanzler Olaf Scholz mit neuer Schärfe. Es sei "fachlicher Blödsinn", wenn Scholz behaupte, dass für den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke die Brennstäbe fehlten. Der Branchenverband Kernenergie sagte dem Münchner Merkur Anfang der Woche: "Wir plädieren dafür, alle verfügbaren Quellen zu nutzen, um die Energiekrise besser zu überstehen." Also auch Atomkraft. Noch im April hatte dagegen Eon-Chef Leo Birnbaum das Kapitel für sein Unternehmen als beendet erklärt. Was gilt denn nun?

Tatsache ist, dass der Krieg in der Ukraine auch in Bayern alle Planungen in der Energiepolitik obsolet gemacht hat. Gaskraftwerke galten bis Februar noch als wichtiger Teil der Energiewende, weil sie Schwankungen im Netz ausgleichen können. Womöglich fallen sie wegen des russischen Embargos aber weitgehend aus. Dabei produzierten sie im Jahr 2020 immerhin 15,9 Prozent des Stroms im Freistaat. Die Bundesregierung will in den Kraftwerken statt Gas nun wieder verstärkt Kohle verfeuern lassen, damit noch genug zum Heizen für die Privathaushalte übrig bleibt. Die könnten sich angesichts der exorbitanten Gaspreise im nächsten Winter gezwungen sehen, Elektroheizkörper in die Wohnung zu stellen - was den Stromverbrauch zusätzlich hochtreiben würde.

Da wirkt es auf den ersten Blick geradezu absurd, dass zum 31. Dezember 2022 das Atomkraftwerk Isar 2 mit seinen 1400 Megawatt vom Netz gehen soll - und damit 12,5 Prozent der bayerischen Stromerzeugung ausfallen. Zumindest in der Theorie könnte Isar 2 den möglichen Verlust bei der Stromerzeugung durch Gas ausgleichen.

Es ist höchste Zeit, dass Bundesregierung und Kraftwerksbetreiber das Durcheinander beenden und den Bürgern klar sagen, ob die Laufzeit des letzten bayerischen Atomkraftwerks verlängert wird oder nicht. Es deutet alles darauf hin, dass Ende das Jahres Schluss ist und Söder mit seinem späten Einsatz für die Atomkraft politisches Kalkül verfolgt. Sollte sich die Energiekrise im nächsten Winter zuspitzen, kann er wenigstens sagen: Ich habe euch gewarnt.

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