Fall Genditzki:"Das schafft nicht mal ein routinierter Auftragskiller"

Fall Genditzki: Anwältin Regina Rick vertritt den Fall Genditzki im Wiederaufnahmeverfahren.

Anwältin Regina Rick vertritt den Fall Genditzki im Wiederaufnahmeverfahren.

(Foto: Stephan Rumpf)

Regina Rick vertritt Manfred Genditzki, der zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, weil er eine 87-Jährige in der Badewanne ertränkt haben soll. Die Anwältin will seine Unschuld beweisen und hat einen Wiederaufnahmeantrag gestellt.

Interview von Hans Holzhaider

Seit mehr als zehn Jahren sitzt Manfred Genditzki, 59, im Gefängnis. Im Januar 2012 verurteilte ihn das Landgericht München II zu lebenslanger Haft, weil es ihn für schuldig hielt, die 87-jährige Rentnerin Lieselotte Kortüm in ihrer Wohnung in Rottach-Egern in der Badewanne ertränkt zu haben. Von Anfang an gab es Zweifel an dem Urteil. Mehr als tausend Menschen, viele von ihnen aus dem Landkreis Miesbach, unterschrieben eine vom ehemaligen Tegernseer Bürgermeister Peter Janssen initiierte Petition, die den bayerischen Justizminister Georg Eisenreich auffordert, sich für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Manfred Genditzki einzusetzen.

Im Juni 2019 stellte die Münchner Rechtsanwältin Regina Rick im Namen Genditzkis einen förmlichen Wiederaufnahmeantrag. Er stützt sich auf neue Sachverständigengutachten und die Aussagen einer bis vor Kurzem unbekannten Zeugin. Zuständig für die Entscheidung über den Antrag ist die 1. Strafkammer am Landgericht München I unter dem Vorsitz von Richterin Elisabeth Ehrl. Auf Anforderung des Gerichts hat jetzt die Staatsanwaltschaft München I Stellung genommen. Sie fordert, den Wiederaufnahmeantrag als unzulässig abzulehnen.

SZ: Wie begründet die Staatsanwaltschaft ihre Ablehnung?

Regina Rick: Die Staatsanwaltschaft sagt, es lägen keine neuen Beweismittel vor, die einen Freispruch für Manfred Genditzki wahrscheinlich machten.

Sie legen ein Gutachten vor, dem zufolge der Todeszeitpunkt der Frau Kortüm entgegen der Meinung des Gerichts so eingrenzbar ist, dass man mit großer Sicherheit davon ausgehen kann, dass sie erst gestorben ist, als Manfred Genditzki ihre Wohnung schon verlassen hatte. Was hält die Staatsanwaltschaft dem entgegen?

Die Eingrenzung des Todeszeitpunkts war erst durch die Ermittlung der Umgebungs-, also der Wassertemperatur möglich. Das entsprechende Gutachten stammt von dem Physikprofessor Niels Hansen von der Universität Stuttgart, der auf Thermodynamik spezialisiert ist, also einem absoluten Fachmann. Die Staatsanwaltschaft hält dem sinngemäß entgegen, dass der vom Gericht angenommene Todeszeitpunkt zwischen 14.57 und 15.09 Uhr nach wie vor nicht auszuschließen sei, weil die Rahmenbedingungen, von denen das Gutachten ausgeht, nicht exakt bestimmbar seien. Also zum Beispiel die Temperatur des nachlaufenden Wassers, die Temperatur der Leiche, oder ob es im Raum einen Luftzug gegeben hat oder nicht.

Manche Einwände der Staatsanwaltschaft sind in ihrer Kleinlichkeit auch regelrecht absurd. So wird zum Beispiel moniert, im Gutachten werde die gemessene Wassertemperatur mit 25,9 Grad angegeben, während sie in Wirklichkeit 26 Grad betragen habe. Man sucht geradezu nach Gründen, um das Gutachten madig zu machen. Tatsächlich hat Professor Hansen bei seinen Berechnungen schon von vornherein die aus Sicht Genditzkis ungünstigsten Rahmenbedingungen zugrunde gelegt. Das heißt, bei Berücksichtigung der Einwände der Staatsanwaltschaft kommt man auf einen noch späteren Todeszeitpunkt.

Im Urteil des Landgerichts München II heißt es, es sei auszuschließen, dass Frau Kortüm durch einen Sturz in die Badewanne in die Position gelangt sein könne, in der sie aufgefunden wurde. Ihr Wiederaufnahmeantrag stützt sich auch auf eine Computersimulation, die ergibt, dass es im Gegenteil sehr wahrscheinlich sei, dass Frau Kortüm in die Wanne gestürzt ist.

Die Staatsanwalt meint, auch dieses Gutachten sei als Beweismittel nicht geeignet, weil es einen Sturz nicht beweisen könne, und es sei auch nicht neu, weil Genditzkis Verteidiger Gunter Widmayer schon im Prozess 2011 die Einholung eines solchen Gutachtens gefordert habe. Die Technik der Computersimulation ist in den letzen acht Jahren aber meilenweit fortgeschritten. Das Simtec-Institut unter der Leitung von Professor Syn Schmitt in Stuttgart ist in dieser Technik weltweit führend. Die Staatsanwaltschaft sagt einfach, das wurde damals abgelehnt, also ist das heute als Beweismittel unzulässig. Aber was wir jetzt vorgelegt haben, ist unendlich viel präziser als das, was der Münchner Gerichtsmediziner Keil damals im Prozess eingebracht hat. Der hat sich selber in die Badewanne gelegt und sich ein Badewannenmodell aus Pappe gebaut.

Ein Urteil wird "mit Zähnen und Klauen verteidigt"

Ein wichtiger Gesichtspunkt im Prozess gegen Manfred Genditzki war die Frage, welchen Grund Frau Kortüm gehabt haben könnte, sich an der Badewanne zu schaffen zu machen. Die Verteidigung hielt es für naheliegend, dass die alte Dame kotverschmutzte Wäsche einweichen wollte. Sie war erst an diesem Tag nach einer schweren Durchfallerkrankung aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen. Das Gericht schloss diese Möglichkeit aus. Im Urteil heißt es: "Es steht fest, dass Frau Kortüm Wäsche nie in der Badewanne eingeweicht hat."

Diese Behauptung ist jetzt durch eine neue Zeugenaussage eindeutig widerlegt. Die Zeugin, die Frau Kortüm über mehr als zwanzig Jahre ihres Lebens eng begleitet hat, sagt aus, dass die alte Dame zeitlebens die strikte Angewohnheit hatte, ihre verschmutzte Wäsche in der Badewanne vorzureinigen, selbst dann, wenn sie sie anschließend selbst in die Waschmaschine steckte.

Damit wäre ein wichtiger Urteilsgrund hinfällig. Was entgegnet die Staatsanwaltschaft?

Die Staatsanwaltschaft hält diese Zeugin nicht für geeignet, weil die Zeugin Frau Kortüm schon lange Zeit vor deren Tod nicht mehr gesehen hat. Das soll wohl sinngemäß heißen: Wenn Frau Kortüm auch vor zwanzig Jahren eine Angewohnheit hatte, sage das nichts über ihre Gewohnheiten zum Zeitpunkt ihrs Todes aus.

Wie bewerten Sie den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Wiederaufnahme des Verfahrens für unzulässig zu erklären?

Ich finde es bedauerlich, dass man dieses Urteil nach wie vor mit Zähnen und Klauen verteidigt, statt sich objektiv mit dem Wiederaufnahmevorbringen zu beschäftigen. Die Sachverständigen, deren Gutachten wir ins Feld führen, sind absolute Spezialisten auf ihren Fachgebieten. Dass die Staatsanwaltschaft diese wissenschaftlichen Gutachten aus eigener Sachkunde in Zweifel zieht, halte ich für bedenklich. Man muss sich ja auch vor Augen führen, wie hochgradig unwahrscheinlich der vom Gericht angenommene Tatablauf ist. Danach soll die ganze Tat innerhalb von nur elf Minuten abgelaufen sein.

In diesen elf Minuten soll Genditzki sich entschlossen haben, Frau Kortüm zu ertränken. Er soll die alte Dame, die 74 Kilogramm wog, ins Badezimmer verbracht, Wasser eingelassen und sie bis zum Eintritt des Todes unter Wasser gedrückt haben, was alleine mindestens fünf Minuten gedauert hätte. Zudem hätte er ja noch den Tatort präparieren, also zum Beispiel den Gehstock und die Pantoffeln im Badezimmer positionieren müssen. Dann hätte er, immer noch innerhalb dieser elf Minuten, die Wohnung im ersten Stock verlassen müssen, um sodann in aller Ruhe den Pflegedienst anzurufen. Das alles, ohne Spuren zu hinterlassen. Ich würde sagen: Das schafft nicht mal ein routinierter Auftragskiller.

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