München:Das Geheimnis des Sekretärs

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Kardinal Michael Faulhaber war von 1911 bis 1917 Bischof von Speyer und danach bis zu seinem Tod 1952 Erzbischof von München und Freising. (Foto: Scherl/SZ-Photo)

Vor hundert Jahren wurde Johannes Waxenberger geboren. Der engste Vertraute des Kardinals Michael Faulhaber versteckte dessen Tagebücher bis zum Tod. Nun erforschen Wissenschaftler ihren brisanten Inhalt

Von Hans Kratzer, München

Seit gut eineinhalb Jahren läuft in München ein spannendes historisches Forschungsprojekt, in dessen Zentrum Kardinal Michael Faulhaber (1869-1952) steht. Der gilt wegen seines widersprüchlichen Auftretens in der NS-Zeit als eine umstrittene Figur. Zwar erhob er immer wieder seine Stimme gegen die Nationalsozialisten und ihre menschenverachtende Politik, aber er schickte auch regelmäßig Ergebenheitsadressen an Adolf Hitler, etwa nach den missglückten Attentaten von 1939 (Georg Elser) und 1944 (Stauffenberg). Faulhaber, der von 1911 bis 1917 Bischof von Speyer und danach bis zu seinem Tod Erzbischof von München und Freising war, notierte fast täglich in kleine Hefte seine Tageserlebnisse, vor allem aber, mit wem er gesprochen hatte und worüber. Die 4000 Seiten füllenden Bände beinhalten Aufzeichnungen über Zehntausende Besucher und Gespräche.

Dass die Tagebücher erst jetzt erforscht

werden, hängt unter anderem damit zusammen, dass sie lange Zeit verschwunden waren. Es ist ein etwas verzwickter Fall, dessen Urheber Faulhabers letzter Sekretär ist, Prälat Johannes Waxenberger, der die Bücher nach dessen Tod an sich genommen hatte. Dieser Prälat Waxenberger kam vor genau hundert Jahren, am 9. Juni 1915, im niederbayerischen Velden an der Vils auf die Welt. Dass er einmal zu einer schillernden Figur der Kirche heranreifen sollte, daran war damals nicht zu denken. Im Jahr 1947 wurde Waxenberger von Faulhaber zum Priester geweiht, bereits ein Jahr danach berief ihn der Kardinal zu seinem persönlichen Sekretär. Vermutlich hatte ihn die Schlitzohrigkeit und Durchsetzungskraft Waxenbergers überzeugt. Faulhabers Nachfolger, dem Kardinal Joseph Wendel, aber sagten diese Tugenden weniger zu. Selbst dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel war es 1953 eine längere Meldung wert, dass Waxenberger seine Münchner Ämter niedergelegt hatte und in ein oberitalienisches Kartäuserkloster eingetreten war. Wendel hatte nach nur einem Jahr Zusammenarbeit Waxenbergers nahezu unbeschränkten Einfluss im Bistum zurückgedrängt. Der Prälat nahm sämtliche Manuskripte Faulhabers sowie dessen Aufzeichnungen und Notizen in das Kloster mit.

Jahre später kehrte er zurück und wurde zum päpstlichen Hausprälaten ernannt. Bei einem Besuch von Weihbischof Matthias Defregger 1981 in Maria Ramersdorf verübte ein Unbekannter ein Zyankali-Attentat auf den Weihbischof, bei dem auch Waxenberger erheblich verletzt wurde. Seinen Ruhestand verbrachte er in seiner ersten Pfarrei Siegsdorf, wo ihm die Gemeinde die Ehrenbürgerwürde verlieh.

Merkwürdig verlief die Übergabe der Tagebücher Faulhabers in das Archiv der Erzdiözese München-Freising nach Waxenbergers Tod im Jahr 2010. Damals herrschte die gängige Meinung, Waxenberger habe sie in einem Pappkarton verwahrt und unter seinem Bett versteckt. Dies hatte auch der Leiter des Archivs des Erzbistums, Peter Pfister, seinerzeit in einer Pressekonferenz erklärt. Ein Verwandter des Prälats Waxenberger widersprach jedoch. Die Tagebücher seien nicht unter dem Bett versteckt gewesen, sagte er, und deren Mitnahme sei der "Wunsch und Wille" Faulhabers gewesen. Das Erzbistum nahm daraufhin seine Version über den Auffindungsort zurück, der Dissens über die rechtlichen Grundlagen der Aneignung der Faulhaber-Tagebücher aber blieb bestehen.

Forscher des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und der Universität Münster erschließen derzeit in Zusammenarbeit mit dem Erzbischöflichen Archiv in München die Notizen des Kardinals. Es ist eine Sisyphus-Arbeit, wie Archivar Roland Götz bestätigt, denn der Kardinal hat seine Notizen, vermutlich als Schutz vor Ausspähung durch die Nazis, in der Gabelsberger-Stenografie verfasst, einem Vorläufer der heute gängigen Kurzschrift. Da die Gabelsberger-Schrift aber heute kaum noch jemand beherrscht, sind die Notizen Faulhabers für die meisten Forscher unlesbar. Zehn Jahre soll das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt noch laufen. In den kommenden Monaten rechnet Götz mit den ersten Ergebnissen, die eine hohe Bedeutung für die deutsche Geschichte haben und im Internet zugänglich gemacht werden sollen (www.uni-muenster.de/FB2/faulhaber). Man wird dann Aufschluss darüber erhalten, was im Kardinal Faulhaber in schwierigen Zeiten vor sich gegangen ist, etwa als er zwischen Sympathiebekundungen und Kritik an den Nationalsozialisten lavierte. Und zwischen den Zeilen wird auch der Prälat Waxenberger aufscheinen, der diesen Schatz Jahrzehnte lang gehütet und so manche persönliche Notiz zwischen die Notizzeilen Faulhabers eingeflochten hat.

© SZ vom 09.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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