Streit mit der Union:Aufschrei der alten CSU-Männer

Streit mit der Union: Betagte CSU-Störenfriede: Alois Glück, Hans Maier, Theo Waigel und Johann Böhm

Betagte CSU-Störenfriede: Alois Glück, Hans Maier, Theo Waigel und Johann Böhm

(Foto: Robert Haas, dpa, Imago)

Ehemalige Spitzenpolitiker fordern ein Ende des Streits mit der CDU und kritisieren die starke Orientierung an den Wahlergebnissen. Ob sich CSU-Chef Horst Seehofer davon beeinflussen lässt?

Von Wolfgang Wittl

Man tritt Heiner Geißler vermutlich nicht zu nahe mit der Behauptung, dass er für seine alten Tage gerade wieder ziemlich aktiv ist. Erst schimpfte er die CSU "schizophren und verrückt". Dann drohte er, ganz der frühere Generalsekretär: Falls seine CDU in Bayern einmarschiere, sei es mit der Dominanz der CSU im Freistaat vorbei. Zuletzt schlug Geißler, 86, immerhin einen gemeinsamen Parteitag der beiden Unionsschwestern vor. Horst Seehofers Kommentar zu den Angriffen: "Ja mein Gott, unser lieber Heiner. Dem seine besten Zeiten liegen lange zurück."

Es ist Seehofers typische Konfliktstrategie in solchen Fällen. Über Politiker aus der Vergangenheit, die in der Gegenwart über die Zukunft reden, freut sich der CSU-Chef so sehr wie ein Vegetarier auf eine Portion Wurstsalat. Wenn er Kanzlerin Angela Merkel attackiert und dann wieder auf sie zugeht, so hat das einem einzigen Takt zu folgen - seinem. Zwischenrufe sind unerwünscht. Auffällig ist nur: Die betagten Störenfriede kommen längst nicht mehr nur aus der CDU, wie Geißler, sondern zunehmend aus den eigenen Reihen.

Es sind Persönlichkeiten mit politischem Gewicht in der CSU, die sich in den vergangenen Wochen gemeldet haben: Die Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber und Theo Waigel, der frühere Kultusminister und Strauß-Widerpart Hans Maier, Alois Glück, der langjährige Fraktionschef und Vordenker, und nun auch Johann Böhm, der einstige Landtagspräsident. Aus ihnen spricht die Erfahrung von fast 200 Jahren in Parlamenten und Kabinetten. Sie summen wie ein Chor im Hintergrund, der lauter und lauter wird. So leicht lässt sich das nicht ignorieren, auch nicht von Seehofer.

Die Bandbreite der Begleitmusik zeigt, wie differenziert die Partei die Flüchtlingsfrage und den Schwesternstreit betrachtet. Hier Stoiber, der die "größte inhaltliche Auseinandersetzung in der Geschichte der Unionsparteien" beschreibt und wie Bayerns Finanzminister Markus Söder und auch Seehofer einen harten Kurs gegenüber der CDU proklamiert. Dort Kräfte mit starker bundespolitischer und christlicher Orientierung, die sich von der CSU mehr Ausgleich und Konstruktivität wünschen. Leute wie Theo Waigel.

Man müsse darauf achten, dass die Union nicht in einen Gegensatz zu den Kirchen gerate, mahnte der frühere Parteichef in der Augsburger Allgemeinen. Nicht nur Fehler und Defizite, sondern "die überragenden Erfolge Europas in den letzten Jahrzehnten" müssten herausgestellt werden. In der jüngsten Vorstandssitzung soll Waigel, 77, Söder gefragt haben, was man sich unter diesem "rechts von der Mitte" vorzustellen habe. Im Fußball wisse er das, sagte Waigel. In der Fußball-Weltmeisterelf von 1954 habe dort Max Morlock gespielt. Aber links von der Mitte habe es eben auch Fritz Walter gegeben, den Kapitän. Und heute? Politisch? Was habe die CDU in den letzten Jahren schon gegen den Willen der CSU gemacht, außer in der Flüchtlingspolitik?

Auch Hans Maier, der frühere Präsident im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), ruft die CSU zu mehr Sensibilität für Worte und ihre Bedeutung auf. "Es darf nicht sein, dass das Ende der Willkommenskultur als Fest gefeiert wird", sagte Maier, 84, der Katholischen Nachrichten-Agentur. Trotz großer Anstrengungen habe Deutschland es doch geschafft, die vielen Flüchtlinge gut aufzunehmen: "Daraus hätte man etwas machen können." Stattdessen drohte die CSU, die Bundesregierung zu verklagen. "Also wie man sich um eine solch positive Grundstimmung bringen kann, das verstehe ich nicht", sagte Maier. Dass dieser Streit alles Erreichte aufzuzehren beginne, bedauere er sehr. Das sähen auch Waigel, Glück und Böhm so.

Böhm sagt, Merkel habe nur Barmherzigkeit geübt, als sie im September die Grenzen öffnen ließ. Dass die Außengrenzen nicht ausreichend geschützt würden, sei das Versäumnis Europas, nicht ihres. Die CSU sei immer dann stark gewesen, wenn sie mit sich im Reinen war. Nun laufe sie Gefahr, ein Stück Identität zu verlieren, warnt Böhm. Bayern habe die Krise besser gemeistert als jedes andere Land und Merkels Mantra - "wir schaffen das" - somit doch bewiesen. Die CSU wäre gut beraten, wenn sie den Streit mit der CDU schnell beende. "Man hätte gar nicht in die Situation kommen dürfen", findet der 78-Jährige. Das würde er auch Seehofer so sagen.

Glück sorgt sich um das "C" und "S"

Alois Glück hat mit dem Parteichef gesprochen, unlängst erst in der Staatskanzlei. Ein ausgezeichnetes Gespräch, behaupten beide. Und doch hatte Glück danach noch einiges loszuwerden. Seinen Diskussionsbeitrag stellte er ins Internet, 21 Seiten lang. Es reiche nicht aus, die Ängste der Menschen zu verstehen und zu bestätigen, schreibt er da: "Sie erwarten von einer Partei mit dem Gestaltungsanspruch der CSU überzeugende Antworten."

Glück, wie Maier einst ZdK-Vorsitzender, sorgt sich vor allem um das "C" und "S" im Namen der Christsozialen. Eine zu starke Orientierung an Wahlergebnissen mit dem Blick nach rechts befördere nur schleichend den Verlust der Grundsubstanz. Schon jetzt bemerkt Glück, 76, einen "erheblichen Erosionsprozess". Viele CSU-Wähler hätten ihm mitgeteilt, dass sie sich derzeit außerstande sähen, die Partei zu wählen.

Die CSU-Landtagsfraktion unterstützt Seehofers Kurs zwar mit großer Mehrheit. Dass es insbesondere im kirchlichen Lager Vorbehalte gibt, ist vielen Abgeordneten aber bewusst. Auch die dürftigen 40 Prozent in der von der CSU angezweifelten Forsa-Umfrage haben Spuren hinterlassen.

Man verliere einfach zu viele Wähler in der Mitte, sagt ein CSU-Mann, obwohl die Partei in der Flüchtlingspolitik doch viel besser sei als ihr Ruf. Man müsse sich das vorstellen wie in einem Einkaufsladen: innen drin die gute Ware, im Schaufenster abschreckende Dekoration. Zur guten Ware zählten etwa die 550 Millionen Euro für Integrationsleistungen, die Kunden aber bemerkten nur die Dekoration. Gemeint ist die mitunter fragwürdige Rhetorik.

Ob und wie sehr sich Seehofer von den Worten der Altvorderen beeinflussen lässt, weiß niemand. Bekannt ist, dass er Unterredungen wie mit Maier und Glück schätzt. Öffentliche Ratschläge dagegen weniger, selbst wenn sie - wie bei Stoiber - auf seiner Linie liegen. Dieses andauernde Quatschi-Quatschi-Quatschi nerve ihn, rüffelte er vor Monaten seine Partei.

Beim 80. Geburtstag des Landshuter Altoberbürgermeisters Josef Deimer sagte dessen Nachfolger Hans Rampf, er danke Deimer vor allem dafür, dass er sich die vergangenen Jahre nie öffentlich eingemischt habe. Die Anwendung dieses Prinzips werde er sofort in der nächsten CSU-Vorstandssitzung vorschlagen, scherzte der Anschlussredner Seehofer. Getan hat er es nicht. Geholfen hätte es wohl ohnehin nichts: Leute, die etwas zu sagen haben, lassen sich schwer den Mund verbieten.

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