Erich Finsches hat selbst mitbauen müssen an diesem gewaltigen Betonbunker, dessen letzter Bogen sich hinter ihm hoch und weit in den Wald hineinspannt. Er hat zentnerschwere Zementsäcke von den Eisenbahnwaggons zu den Mischmaschinen geschleppt, er hat Kies, der daneben rieselte, zurück in die Loren geschaufelt und er ist dabei viermal komplett verschüttet worden, als die Klappen der Schüttanlage zu heftig geöffnet wurden. Gegen die Kälte des Winters gab es nichts anderes, als sich Zementsäcke über die Häftlingskleidung zu ziehen, so lange, bis sie ihm nach Wochen vom Leib bröselten.
Dass Erich Finsches, geboren 1927 in Wien, auch mit 94 Jahren noch einmal hier im Mühldorfer Hart stehen kann, um das alles zu erzählen, ist beileibe nicht selbstverständlich. Nur noch 80 Tage überlebten die Gefangenen im Schnitt, wenn sie erst einmal in das Mühldorfer Außenlager des KZ Dachau hier im Wald Richtung Waldkraiburg gebracht worden waren. Erich Finsches überstand sechs Monate, so wie er zuvor Auschwitz und danach das Dachauer Außenlager in Kaufering überlebte. Und wenn es gut geht, wird er vielleicht noch miterleben, wie bald der dritte und letzte Teil der KZ-Gedenkstätte im Mühldorfer Hart entsteht.
Die beiden anderen Teile wurden 2018 eröffnet. Sie liegen einige Kilometer entfernt an den Orten des "Waldlagers" und des Massengrabs, in dem mehr als 2000 ermordete Häftlinge verscharrt wurden. Einige Bürger hatten 2002 den Verein "Für das Erinnern" gegründet und jahrelang Überzeugungsarbeit leisten müssen, ehe der Freistaat Geld für eine Gedenkstätte gab. Erst nachdem Max Mannheimer als einer der letzten Überlebenden und der inzwischen ebenfalls verstorbene SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel 2015 bei Horst Seehofer vorgesprochen hatten, sagte der Freistaat 2,5 Millionen Euro zu. Dem Bund mangelte es für eine Förderung an "authentischer Bausubstanz" - doch die gibt es am Areal des Rüstungsbunkers.
Von ungefähr 8300 KZ-Häftlingen kamen etwa 4000 um im Mühldorfer Hart, und auch bei den etwa 1700 Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern gab es Hunderte Tote. Das Lager war Teil der NS-Mordmaschinerie, doch sein eigentlicher Zweck war der Bau dieses 400 Meter langen, 33 Meter breiten und acht Etagen hohen Bunkers, der halb im Waldboden vergraben und halb von zwölf oberirdischen Betonbögen gebildet werden sollte.
Darin sollten Düsenflieger vom Typ Me 262 montiert werden, von denen Hitler sich und den Deutschen 1944 doch noch den Endsieg versprach. Dazu kam es nicht mehr, es wurden nur sieben Bögen fertig, und weil der siebte noch auf dem Kiesberg auflag, über den er betoniert worden war, widerstand er als einziger der Sprengung durch die Amerikaner nach dem Krieg. 110 Tonnen TNT sollen da explodiert sein, und später nutzten die Alliierten das Trümmerfeld noch, um erbeutete Munitionsbestände der Reichswehr zu sprengen.
Auf knapp 120 Hektar Waldboden bargen Experten einer Spezialfirma in den beiden vergangenen Jahren noch mehr als 20 Tonnen explosives Material und rund 49 Tonnen Munitionsreste, vieles davon musste an Ort und Stelle gesprengt werden. Der Bund bezahlte für diese "Kampfmittelräumung" mehr als sechs Millionen Euro. Weite Teile des über die Jahrzehnte von Fichten, Birken und Büschen überwachsenen Geländes sind dadurch nun wieder freigelegt, im Boden zeigen sich die Strukturen von Bunkerbauten, Lüftungsstollen und Zugangsgebäuden. All das soll nun als dritter Teil des Gedenkorts erfahrbar werden.
Die Pläne dazu stammen vom Büro Latz + Partner, das für die beiden offen und zurückgenommen gestalteten ersten Teile 2021 den Bayerischen Landschaftsarchitektur-Preis gewonnen hat. Entscheidend für den dritten Teil ist ein erhöhter Ausblick, um die Besucher nicht zu dem monumentalen Bunkerbogen in seiner falschen Erhabenheit aufschauen zu lassen. Ein auf den Resten eines Bogens aufliegender Steg soll barrierefrei in die Höhe führen, berichtet Jascha März, der die wissenschaftlichen Dienste der Stiftung Bayerische Gedenkstätten leitet.
Vor der Vollendung der Gedenkstätte müssen aber noch Grundstücksverhandlungen geführt werden, die in diesen Tagen beginnen. Denn das Waldstück gehört zwei Dutzend Privatleuten, die jeweils nur über äußerst schmale und wegen der Bunkerreste kaum nutzbare Grundstreifen verfügen. Tauschgeschäfte mit den Staatsforsten sollen eine einheitliche Fläche für die Gedenkstätte ergeben.
Wann die Arbeiten daran beginnen können, hängt von den Verhandlungen ab. Erich Finsches, der seine Überlebensgeschichte vor wenigen Tagen bei der Gedenkfeier zum 77. Jahrestag der Räumung des Lagers noch einmal erzählt hat, ist trotz allem ein positiver Mensch geblieben. Aber viel Zeit hat er nicht mehr.