Süddeutsche Zeitung

Mozartkugeln:Süße Ware mit Schuss

Lesezeit: 4 min

Typisch für Österreich, und doch entstehen die meisten Mozartkugeln weltweit in Bad Reichenhall. Nun will man mit dem traditionellen Naschwerk den arabischen Markt erobern. Mit einer Variante ohne Alkohol. Experimentiert wird zurzeit mit Rosenwasser.

Von Andrea Vyslozil

Zwei zarte Schichten Schokolade durchbrechen die Zähne, bevor sie das weiche Marzipan erreichen. In seiner Mitte verbirgt sich ein Kern aus Nougat. Der Geschmack der Süßigkeit ist seit Kindesbeinen vertraut. Doch irgendetwas ist an dieser hier anders. Es ist die Alkoholnote. "Dass die Kugeln frisch vom Band intensiver nach Rum schmecken, hören wir oft", sagt Reinhold Kaiser. Er leitet die Produktion in der Reber-Mozartkugelfabrik. Fast alle hier hergestellten Mozartkugeln enthalten eine kleine Menge Rum. Bis die Süßware aber den Kunden erreicht, hat sich der Rum meist längst verflüchtigt. Er ist nur eines der Geheimnisse, die der Reber-Kugel ihren unverwechselbaren Geschmack verleihen.

Früher wurde sie handgefertigt, heute industriell. Das Rezept hat sich dennoch kaum verändert. In der Produktionshalle ist es kühl an diesem Morgen. Unzählige Maschinen brummen laut und gleichmäßig vor sich hin. An allen sechs Linien wird fleißig gearbeitet: Pralinen, Tafelschokoladen und natürlich Mozartkugeln. Zwei Linien nimmt allein die runde Köstlichkeit für sich ein. Kein Wunder, entstehen hier jeden Tag doch rund 500 000 Stück. Reber mag nicht der Erfinder der Mozartkugel sein, das ist ein Salzburger Konditor namens Fürst. Was die Stückzahlen betrifft, ist Reber heute aber weltweit der erfolgreichste Mozartkugelhersteller.

Alles beginnt mit einem kleinen Ring aus Pistazienmarzipan. Klecks für Klecks spritzt eine Maschine ein Gemisch aus Nougat und Kuvertüre in die grünen Ringe. Nach einer kurzen Abkühlungspause folgt die nächste Schicht Marzipan. Es kommt aus Lübeck, verrät Kaiser. Hauptsächlich kalifornische Mandeln finden sich darin. Der sogenannte Deckelschneider formt ein kleines weißes Hütchen und setzt die Mandelmasse exakt auf den grünen Ring. Langsam wird die Kugelform erkennbar. Fehlt nur mehr die Schokolade.

Etwa 220 Tonnen Schokolade verarbeitet Reber jedes Jahr. Diese wesentliche Zutat wird in vier gigantischen Tanks gelagert. Nachschub kommt regelmäßig mittels Tanklastwagen aus Mannheim. Dort hat der Lieferant ADM Schokinag seinen Sitz. Einen halben Tag braucht es, um die Tanks mit flüssiger Schokolade zu befüllen. Qualitätsprüfung dauert. Bei der Wahl der Zutaten setzt Reber auf hochwertige Rohstoffe: Das Marzipan hat einen hohen Mandelanteil, beim Nougat wird nicht am Kakao gespart, in die Kuvertüre kommt statt Margarine Butter aus Bayern. Seit Kurzem beteiligt sich die Firma an einem Projekt für nachhaltigen Kakao.

"Jeden Tag etwa hundert Gramm"

An Linie eins und zwei werden die Mozartkugeln unterdessen mit Vollmilchschokolade überzogen. Ein bisschen erinnert das an einen Schokoladebrunnen. "Die Kuvertüre muss exakt die richtige Temperatur haben", erzählt Kaiser. Im flüssigen Zustand sind das 48 Grad Celsius. Sobald sie die Kugel überzogen hat, muss die Schokolade rasch abkühlen. Es soll eine zweite Schicht folgen.

Die Mozartkugeln fahren auf ihrem Fließband gemächlich durch einen Kühltunnel. "Ließen wir diesen Schritt aus, würden sich die beiden Schichten vermischen", sagt Kaiser. Endlich ist die Zartbitterschokolade an der Reihe. Auch sie ist exakt temperiert und hüllt die Kugel in ihren charakteristischen dunklen Mantel. Nach einem weiteren Kühltunnel kommt eine Aluminiumfolie darüber. Gut 45 Minuten hat der Weg vom Marzipanring zur fertigen Mozartkugel gedauert.

Produktionsleiter Kaiser nimmt eine vom Band, Zeit für einen Qualitäts-Check. Die Frage, ob ihm die Süßigkeiten nicht schon zum Hals heraushingen, verneint er: "Ich esse jeden Tag etwa hundert Gramm davon." Auch er schmeckt den Alkohol. Der Rum mache das Marzipan saftiger, weiß der Mozartkugelexperte. "Manche Leute lehnen Alkohol selbst in derart geringen Mengen ab. Deshalb sind wir gerade dabei, eine Kugel ohne zu entwickeln."

Immerhin will Reber demnächst den arabischen Markt erobern. Experimentiert wird zurzeit mit Rosenwasser. Das Exportgeschäft scheint allgemein gut zu laufen. Die eben produzierten Kugeln kommen in eine englisch-beschriftete Verpackung: "Genuine Reber Mozart-Kugeln". Das Wort Kugeln wird nicht übersetzt, die Zweideutigkeit von "Mozart Balls" will man offensichtlich vermeiden.

Auf der Rückseite der Packung prangt neben der Zutatenliste der Schriftzug "kosher". Diese Kugeln sollen bald Gaumen in Israel erfreuen. Auch in Russland, China und den USA vertreibt Reber sein Sortiment, insgesamt wird in 54 Länder exportiert. Das größte Geschäft macht der Süßwarenhersteller aber immer noch in Deutschland. Etwa vier Fünftel der Jahresproduktion, 60 bis 80 Millionen Kugeln, werden in Deutschland genascht.

Wer auf der Autobahn A 8 Richtung Österreich fährt, weiß meist gar nicht, wie nah er der Mozartkugelquelle sind. Während sich Stoßstange an Stoßstange Urlauber über den Walserberg kämpfen, entstehen nur wenige Schritte entfernt Tausende Kugeln. Hätte die Familie Reber ihre Fabrik einst einige hundert Meter weiter östlich errichtet, stünde sie heute auf österreichischem Boden. Doch das Bad Reichenhaller Unternehmen hatte nie vor, seinen Heimatort zu verlassen.

Über Umsatzzahlen und Gewinne spricht das Reber-Management öffentlich nicht gern. "Wir schreiben schwarze Zahlen", gibt sich Geschäftsführer Bernhard Pfaff bedeckt. Er ist der erste familienfremde Firmenchef. Schlecht scheint es dem Betrieb nicht zu gehen. Immerhin hat man im Vorjahr knapp eine Million Euro in eine umfangreiche Dachsanierung sowie die Einhausung der Schokoladetanks gesteckt.

Naschkatzen sterben nicht aus

Pfaffs Büro liegt nicht im Fabrikgebäude, sondern in der Innenstadt von Bad Reichenhall. Im gleichen Gebäude wie das Reber Café. Hier hat einst alles begonnen. In den Dreißigerjahren erbte der Münchner Vater des heutigen Eigentümers das Haus. Kurzerhand beschloss er, seinen Betrieb ins Berchtesgadener Land zu verlegen.

Das kleine Kaffeehaus erfreute sich großer Beliebtheit bei den Kurgästen. Bald wurde ein Nebengebäude dazugekauft, die Konditorei systematisch erweitert. 1981 entschied die Familie, auf Grund der guten Nachfrage industriell zu produzieren.

Gut 400 Beschäftigte zählt der Süßwarenhersteller heute, mehr als ein Drittel von ihnen arbeiten in der Fabrik. Doch auch die Innenstadtfiliale gedeiht. Etwa 20. 000 Gäste lassen sich hier jedes Jahr verwöhnen: mit handgeschöpften Schokoladen, Pralinen und Torten. Auch an diesem Tag sitzen viele im Café. Ein Stockwerk darüber beginnt Bernhard Pfaff mit der Planung für das Reber-Jubiläumsjahr: 2015 jährt sich die Gründung der ersten Reber-Konditorei in München zum 150. Mal. Sortimentsentscheidungen stehen an. Angst vor der Zukunft hat er nicht. Seine Kunden sind Naschkatzen. Die werden so schnell nicht aussterben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1804238
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.10.2013
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.