Mordfall:Viele Spekulationen um ein Stück Stoff

Mordfall: Peggy Knobloch wurde 2001 im Alter von neun Jahren entführt und ermordet. Ihre sterblichen Überreste fand man erst in diesem Sommer in einem Waldstück. Collage: Illutrov

Peggy Knobloch wurde 2001 im Alter von neun Jahren entführt und ermordet. Ihre sterblichen Überreste fand man erst in diesem Sommer in einem Waldstück. Collage: Illutrov

(Foto: dpa)
  • An einem Stückchen Stoff, das in unmittelbarer Nähe der Knochen des Mädchens gefunden wurde, haben Ermittler eine DNA-Spur isoliert, die dem NSU-Mitglied Uwe Böhnhardt zuzuordnen ist.
  • Eine Verunreinigung der DNA lässt sich bis jetzt nicht völlig ausschließen.
  • Nach dem DNA-Fund ist der Fall Peggy Knobloch jetzt rätselhafter als je zuvor.

Von Von Hans Holzhaider, Olaf Przybilla und Annette Ramelsberger

Natürlich ist größtmögliche Transparenz gewollt", sagt Ulrike Roider, die Pressesprecherin des bayerischen Justizministeriums. Natürlich sei man sich bewusst, dass das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit in diesem Fall besonders hoch sei.

In der Tat. Zwei der spektakulärsten Kriminalfälle der vergangenen Jahrzehnte - das Verschwinden der neunjährigen Peggy Knobloch aus dem oberfränkischen Lichtenberg im Mai 2001 und die Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) - scheinen plötzlich auf rätselhafte Weise miteinander verknüpft zu sein. An einem winzigen Stückchen Stoff, das in unmittelbarer Nähe der Knochen des Mädchens gefunden wurde, haben Ermittler eine DNA-Spur isoliert, die dem im November 2011 getöteten NSU-Mitglied Uwe Böhnhardt zuzuordnen ist.

Es hat im Fall Peggy Knobloch die wildesten Spekulationen gegeben. Hatte der Stiefvater sie in die Türkei entführt? Hatten Mädchenhändler sie in ein tschechisches Bordell verschleppt? Ein spannender Spielfilm, eng an den authentischen Fall angelehnt, konstruierte eine Verschwörung von Pädophilen bis in höchste bayerische Ministeriumskreise. Aber niemand, wirklich niemand, kam je auf die Idee, dass die mörderischen Neonazis aus Zwickau irgendetwas mit dem Tod von Peggy Knobloch zu tun haben könnten.

"Dafür gibt es in den Akten einfach überhaupt keinen Anknüpfungspunkt", sagt Michael Euler, der Rechtsanwalt, der 2014 den Wiederaufnahmeprozess gegen den wegen Mordes an Peggy Knobloch verurteilten Ulvi K. ins Rollen brachte. Und Herbert Manhart, der Chef der ersten Sonderkommission, die im Fall Peggy ermittelte, sagt: "Ein Zusammenhang mit dem NSU ergibt für mich überhaupt keinen Sinn."

Transparenz wäre also wirklich notwendig, um beurteilen zu können, welche Folgerungen aus dem DNA-Fund gezogen werden können - und welche nicht. Aber Herbert Potzel, Leitender Oberstaatsanwalt in Bayreuth, der Mann, der das Informationsmonopol im Fall Peggy Knobloch/Uwe Böhnhardt hat, bittet um Nachsicht. Es gibt keine Informationen, die über die erste, äußerst knappe Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Bayreuth hinausgehen. Mit zwei ganz kleinen Ausnahmen. Es handele sich, bestätigt Potzel, bei dem "Spurenträger", an dem Böhnhardts DNA festgestellt wurde, um ein Stück Stoff. Und es wurde "am Fundort" der Skelettteile von Peggy Knobloch sichergestellt. Direkt am Fundort, nicht zehn und auch nicht fünf Meter entfernt.

Mordfall: undefined

Weitere Fragen werden nicht beantwortet. Was für eine Art Stoff? Teil eines Kleidungsstücks, eines Taschentuchs, einer Decke? Wo genau lag es? Besteht ein Zusammenhang mit anderen Fundstücken? Wo wurde der "Spurenträger" asserviert, wo wurde er untersucht? Oberstaatsanwalt Potzel kennt darauf nur eine Antwort: "Ich bitte um Nachsicht."

Einiges sickert trotzdem durch. Es handelt sich, erfährt die SZ aus zuverlässiger Quelle, um ein sehr kleines Stück Stoff, nicht größer als ein Kleinfingernagel. Und die Untersuchung fand im Bayerischen Landeskriminalamt in München statt, nicht im Institut für Rechtsmedizin in Jena, wo 2011 die Leiche Uwe Böhnhardts und im Juli 2016 auch die Skelettteile von Peggy Knobloch untersucht wurden. Aber lässt sich damit ausschließen, dass die DNA-Spur Böhnhardts erst nachträglich auf das Asservat übertragen wurde? Nicht unbedingt, warnen Experten. Denkbar wäre zum Beispiel, dass bei der Spurensuche an der Fundstelle der sterblichen Überreste Peggys Geräte verwendet wurden, die auch beim Ausräumen des Wohnmobils zum Einsatz kamen, in dem Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos starben. Eine, zugegeben, ziemlich fernliegende Möglichkeit - immerhin vergingen fast fünf Jahre zwischen den beiden Ereignissen.

Eine Theorie erscheint unwahrscheinlicher als die nächste

Aber andere Theorien, wie Böhnhardts DNA an ein Stückchen Stoff bei den Überresten Peggy Knoblochs gelangt sein könnte, sind mindestens ebenso unwahrscheinlich. Könnte Böhnhardt vielleicht auf einer seiner vielen Fahrten nach Nürnberg just an der Stelle ein Picknick gemacht haben, an der später ein unbekannter Mörder die Leiche Peggys ablegte? Könnte es einen Zusammenhang mit einer Waldhütte in der Nähe des Leichenfundortes geben, die nach Angaben von Dorothea Marx, der Vorsitzenden des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses, von Neonazis genutzt wurde? Könnte Böhnhardt vor Peggys Verschwinden Kontakt zu dem Mädchen oder dessen Mutter in Lichtenberg gehabt haben? Eine dieser Theorien erscheint unwahrscheinlicher als die nächste, für keine gibt es irgendeinen Anhaltspunkt.

Als am 2. Juli 2016 ein Pilzsammler im thüringischen Landkreis Saale-Orla auf Skelettteile stieß, die dann als die Überreste Peggys identifiziert wurden, hofften viele, dass das Rätsel um das verschwundene Mädchen endlich gelöst werden könnte. Im April 2004 war der damals 23-jährige geistig behinderte Ulvi K. als mutmaßlicher Mörder Peggys verurteilt worden. Er hatte gestanden, das Mädchen getötet zu haben, um zu verhindern, dass sie ihn wegen eines vorangegangenen sexuellen Missbrauchs verrate. In einer Videorekonstruktion hatte Ulvi K. detailliert geschildert, wie er dem Mädchen nachgelaufen sei und sie schließlich mit der Hand erstickt habe. Später hatte er sein Geständnis widerrufen. In Lichtenberg glaubten viele nicht an die Schuld des allseits beliebten und als gutmütig eingeschätzten Mannes. Mehrere jugendliche Zeugen waren sich sicher, Peggy in Lichtenberg zu einem Zeitpunkt gesehen zu haben, als sie nach dem Urteil des Landgerichts Hof schon tot gewesen wäre. Zwei Mitschüler Peggys gaben an, sie hätten gesehen, wie das Mädchen in einen roten Mercedes mit tschechischem Kennzeichen stieg. Bei dieser Aussage blieben sie auch zehn Jahre später, als das Verfahren vor dem Landgericht Bayreuth wieder aufgenommen wurde. Im Mai 2014 wurde Ulvi K. freigesprochen.

Es gab bisher vier Tatverdächtige

Es gab andere Tatverdächtige. In Halle wurde ein Mann festgenommen, der kinderpornografische Schriften besaß und auf dessen Computer auch Fotos von Peggy gefunden wurden. Sein eigener Halbbruder, der in Lichtenberg lebte, bezichtigte ihn des Mordes an Peggy, geriet aber daraufhin selbst in Verdacht. Bei einem älteren Mann in Lichtenberg, der ebenfalls in Verdacht geriet, grub die Polizei den Garten um, fand aber nichts. Alle Ermittlungen verliefen im Sande. "Ulvi K. könnte genauso der Täter sein wie die drei anderen", sagte ein Kriminalbeamter als Zeuge im Wiederaufnahmeprozess.

Als dann im Juli die Skelettteile Peggys nur 15 Kilometer entfernt von Lichtenberg entdeckt wurden, schienen wenigstens die wildesten Verschwörungstheorien ausgeräumt zu sein. Peggy war jedenfalls nicht in die Türkei und auch nicht in ein tschechisches Bordell verschleppt worden. Verblüffend gut aber passte der Fund zu Ulvi K.s ursprünglichem Geständnis, dass Peggys Leiche von seinem Vater abtransportiert und versteckt worden sei.

Nach dem DNA-Fund ist der Fall Peggy Knobloch jetzt rätselhafter als je zuvor. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte am Freitag, erst wenn sichergestellt sei, dass es zu keiner Verunreinigung der DNA-Probe gekommen sei, müsse man ermitteln, ob es Bezüge zwischen Peggys Umfeld und dem NSU-Trio gegeben habe. "Da liegt sehr viel Arbeit vor uns", sagte Herrmann.

Dem ist nicht zu widersprechen.

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