Süddeutsche Zeitung

Morde am Ammersee:Tatort Familie

Morde werden häufig schnell aufgeklärt, weil sie fast ausschließlich von Männern und in Beziehungen begangen werden - so wie offenbar bei der Tat am Ammersee.

Von Lisa Schnell

Es sind Kinder, die es nicht mehr aushalten, wie der Vater die Mutter schlägt. Es sind Ehen, in denen der Hass in einem Moment so aufflammt, dass plötzlich ein Messer in der Brust des Partners steckt. Oder es ist ein fanatischer Bruder, der nicht ansehen kann, wie seine Schwester ohne Kopftuch und mit Spaß ein westliches Leben führt, und der die in seinen Augen beschmutzte Familienehre mit Blut wieder reinwaschen will.

Mord und Totschlag haben viele Gesichter, viele traurige Geschichten und psychische Abgründe des Menschen stecken hinter diesen Wörtern. Eines aber haben fast alle Tötungsdelikte gemeinsam: Der Täter kommt aus der Nähe, lauert meist in der eigenen Verwandtschaft. Etwa 90 Prozent aller Morde sind Beziehungstaten, deutschlandweit und auch in Bayern, schätzt Johannes Luff, Leiter der Kriminologischen Forschungsgruppe der bayerischen Polizei (KFG).

Warum das so ist? Dazu müsste man tief eintauchen in die dunklen Geheimnisse des menschlichen Lebens, sagt Luff. Er will es probieren. "In Partnerschaften und Familie hat man die intensivsten Erfahrungen", sagt er. Bei der Arbeit, im Büro, bei Freunden, immer ist noch etwas dazwischen, die soziale Kontrolle zügelt einen. In der Familie aber oder in der Ehe fallen oft alle Schranken. Hier wird am innigsten geliebt, aber auch am tiefsten gehasst.

Kein anderer kann einen so kränken, so ins Mark treffen, so in den Wahnsinn treiben wie der Mensch, der einem am nächsten steht. "Zuhause fallen alle Filter weg", sagt Luff. Das Zuhause des Opfers ist deshalb das erste, was sich die K 1, die Mordkommission, in Bayern genauer ansieht. Und meistens werden sie fündig.

Von den 370 Fällen von Mord und Totschlag, die es in Bayern 2015 gab, konnte die Polizei knapp 96 Prozent aufklären. Auch deshalb, weil es sich fast immer um Beziehungstaten handelt. Wie eben wieder in Eching am Ammersee, ist der Täter meistens noch in der Nähe. Er steht mit blutverschmiertem Messer in der Küche, irrt in der Nachbarschaft herum, sitzt hinten im Garten. Es ist der Bruder, Vater, Onkel, manchmal auch die Mutter, fast immer aber ein naher Verwandter des Opfers.

Die meisten Fälle sind schnell aufgeklärt

Die Motive sind oft nicht schwer zu erraten: Eifersuchtsdramen, ein Ehestreit unter Alkoholeinfluss, der eskaliert. Alltägliche Konflikte und Situationen, die immer wieder mit dem Tod enden. Liegt das Motiv aber nicht im emotionalen Geflecht einer Familie, dann wird es schwer, sagt Luff. Dann könnte es jeder sein. Dann endet die Suche meist im Nirgendwo, die Akte bei den ungelösten Fällen. Meistens aber hat die Polizei bei Morden nach spätestens 14 Tagen einen Tatverdächtigen, in neun von zehn Fällen aus der näheren Verwandtschaft, in etwa 90 Prozent einen Mann.

Je brutaler die Tat, desto unwahrscheinlicher, dass sie von einer Frau begangen wurde. Vielleicht, weil Frauen der bessere Teil der Menschen sind, wie Christian Pfeiffer, der ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover, sagt. Vielleicht, weil sie immer noch in die Opferrolle hineinerzogen sind, sich eher mit ihr abfinden, als der in seinem Stolz gekränkte Mann, vermutet Luff vom KFG. "Wenn Frauen Männer töten, dann um sich von ihnen zu befreien, wenn Männer Frauen töten, dann um ihnen ihre Freiheit vorzuenthalten", sagt Pfeiffer.

Die Frau mit der Giftspritze, der Mann mit dem Hackebeil, das ist aber ein Mythos. Tatwaffe wird, was gerade zur Hand ist, sagt Luff. Oft ist es das Küchenmesser. In Mordfällen wird Gift von beiden Geschlechtern eher selten benutzt. Bei Gift oder Schlaftabletten kann immer etwas schief gehen. Wer aber jemanden töten will, sagt Luff, der will auf Nummer Sicher gehen.

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SZ vom 19.08.2016/vewo
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