Wie er sich von der Justiz behandelt fühle? Diese Frage stellt ein Journalist Gustl Mollath nach seinem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags. Zuvor hat Mollath den neun Mitgliedern des Ausschusses zweieinhalb Stunden lang erklärt, wie es seiner Ansicht nach dazu kommen konnte, dass er vor sieben Jahren zum Psychiatrie-Insassen geworden ist. Behandelt? Er fühle sich von der Justiz gar nicht mehr behandelt, antwortet Mollath. "Das treffendere Wort lautet misshandelt."
Wer zuvor seinen Aussagen im Ausschuss aufmerksam zugehört hat, kann nachvollziehen, wie der Mann zu diesem Urteil kommt.
Um 13:13 Uhr betritt Mollath den Sitzungssaal im Bayerischen Landtag - unter lautem Applaus der Zuschauer. Die Stuhlreihen sind bis zum letzten Platz besetzt. Ein Paar aus München ist gekommen, beide sind über den Fall empört. "Wir informieren uns über Zeitungen, das Internet, Unterstützerforen und jetzt sind wir gespannt, was er zu sagen hat." Ein Mann aus Regensburg erklärt seinen Besuch ähnlich, er fordert Gerechtigkeit: "Was da alles gelaufen ist, darf in einem Rechtsstaat einfach nicht passieren."
Fall Mollath:Bilder aus der Geschlossenen
Aus der Psychiatrie, in der Gustl Mollath sieben Jahre im Maßregelvollzug leben musste, dringt kaum etwas nach außen. Die Berichterstattung ist schwierig, Bildaufnahmen sind Journalisten untersagt. Die hier erstmals veröffentlichten Aufnahmen stammen von einem Mitinsassen.
Ein Satz, den sicherlich viele unterschreiben würden. Allein: Niemand weiß genau, "was da alles passiert ist". Das herauszufinden, versucht seit Mitte Mai der Untersuchungsausschuss des Landtags. Die bisherigen Zeugenaussagen haben den Eindruck eines Justizskandals verstärkt. Der Vorsitzende Richter im Prozess gegen Mollath, Otto Brixner, räumte etwa ein, die Verteidigungsschrift Mollaths samt Anlagen nicht gelesen zu haben. Generalstaatsanwalt Hasso Nerlich bezeichnete das Urteil gegen Mollath als "mehr als schludrig". Unter den Zeugen waren zudem Steuerfahnder, die erklären mussten, warum sie Mollath von vorneherein als "Spinner" eingestuft hatten.
Nun geht das Wort also an die Hauptperson in dem sich abzeichnenden Justizskandal. Gustl Mollath sieht bei seinem Auftritt aus, wie man ihn von Bildern kennt. Sein Gesichtsausdruck ist ruhig und gefasst. Mollath trägt eine weiße Hose, einen dunkelblauen Pullover und ein rotes Poloshirt darunter.
Minutenlang bleibt er anfangs im Raum stehen und lässt sich fotografieren. Doch sofort ermahnt der Ausschuss-Vorsitzende Florian Herrmann von der CSU die Anwesenden: "Das ist hier keine Talkshow." Er verbittet sich Applaus, Zwischenrufe und Fotos und betont mehrmals: "Wir sind ein Untersuchungsausschuss. Alle Fragen, die die richterliche Unabhängigkeit betrachten, müssen woanders geklärt werden."
Was die Abgeordneten im Landtag überprüfen dürften, sei die Frage, wie sich die staatlichen Behörden in dem Fall verhalten haben. "Wir können aber nicht über die Frage entscheiden, ob Sie, Herr Mollath, zu Recht oder zu Unrecht in der Psychiatrie untergebracht sind."
Der 56-jährige Mollath erzählt mit ruhiger Stimme, wie sich die Situation mit seiner Exfrau damals entwickelt hat. Er erzählt, wie sie aus seiner Sicht als normale Bankangestellte immer tiefer in die von ihm angeprangerten Schwarzgeldgeschäfte gerutscht ist. Dass die Geschäfte immer dreister geworden seien. Die Summen immer höher wurden. Für ihn sei irgendwann klar gewesen, dass seine Frau damit nicht weitermachen könne. "Irgendwann dachte ich mir, jetzt kann es nicht mehr lange dauern, dann stehen die Staatsanwälte vor der Tür."
Immer wieder bezieht sich Mollath auf die 106 Seiten umfassende Verteidigungsschrift, in der er seine Schritte dokumentiert habe. Mollaths Beschreibung ist teils sehr kleinteilig, fast akribisch. Er nennt unzählige Namen, Daten, beschreibt chronologische Ereignisse und wirkt bei alldem sehr aufmerksam und wach. "Hat denn wegen der 106 Seiten niemand von der Steuerfahndung oder der Staatsanwaltschaft bei Ihnen nachgefragt?", will ein Ausschuss-Mitglied wissen. Mollaths Antwort ist deutlich: "Nein, niemand. Zu keinem Zeitpunkt."
Die Besucher blicken konzentriert nach vorne, die meisten können Mollath nur von hinten sehen, manche auch von der Seite. Doch niemand will ein Wort verpassen. Obwohl Mollath ein Mikrofon vor sich hat, klingt seine Stimme eher leise. An manchen Stellen nicken einige leicht mit dem Kopf, als hätten sie von dieser Episode im Leben des Gustl Mollath schon einmal gehört - oder gelesen. Andere notieren mit, als dürfte kein noch so kleines Detail verloren gehen.
Auch die Mitglieder des Untersuchungsausschusses blicken konzentriert auf Mollath, während er beschreibt, wie die Situation immer weiter eskalierte. Die Streitigkeiten mit seiner Exfrau; seine Versuche, bei Banken, Juristen, Beamten und Politikern irgendetwas zu bewegen; irgendwann die rechtlichen Schritte von Petra M. gegen ihn. "Ich kannte meine Exfrau ja sehr lang und wusste, sie ist impulsiv - und wenn sie ihren Kopf nicht durchsetzen kann auch ein bisschen rumpelstilzchenhaft. Da dachte ich, das wird schon wieder." Spätestens als die Anklage vorlag, sei ihm aber klar geworden: Das wird nichts mehr.
Zu den harschen Vorwürfen, die seine Exfrau Petra M. in einem genau an diesem Dienstag erschienen Interview äußert, wird Mollath auch erst nach seiner Zeugenaussage befragt. "Haben Sie wirklich nie die Hand gegen ihre damalige Frau erhoben?" fragt ihn ein Journalist vor dem Sitzungssaal. Mollath schnaubt und schüttelt den Kopf: "Nein, nie." Genauso wenig habe er Autoreifen zerstochen. Nachweisbar ist das heute allerdings nicht mehr - und damals wurden keine Spuren gesichert.
Seine Unterbringung in der Psychiatrie spricht Mollath immer wieder am Rande seiner Ausführungen an. Jedes Mal wird dabei deutlich, wie sehr er sein Leben dort hasst. Er beschreibt, wie es ist, nachts aufgeweckt zu werden, keinen natürlichen Schlafrhythmus mehr zu finden. Dass er wahnhaft sei, weist Mollath von sich. Nach all den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben worden seien, stelle sich mittlerweile die Frage, wer dieser Mollath überhaupt sei. "Ich behaupte: Ich bin immer noch derselbe", betont er und meint damit wohl sein früheres Leben.
Am Ende seines Vortrags richtet Mollath noch einen Wunsch an die Abgeordneten - für den Fall, dass er auch nach den aktuellen Ereignissen und der möglichen Wiederaufnahme des Falls nicht wieder freikommen sollte. "Wenn es wirklich dazu kommt, dass ich bin zum Lebensende festgehalten werden soll, dann bitte ich darum, dass dies in Sicherungsverwahrung wie im Gefängnis geschieht. Aber nicht in dieser Anstalt", bittet Mollath. "Diese Situation wünsche ich nicht mal meinem ärgsten Feind."
Was bleibt von diesem Auftritt, ist ein noch größerer Wust an Informationen, Namen, Daten, Zahlen. Aber auch wichtige Eindrücke, die vielleicht helfen, eben genau diese Frage zu beantworten: wer dieser Gustl Mollath eigentlich ist? Zweieinhalb Stunden lang hat Mollath über kleinste Details referiert. Ruhig, gelassen, strukturiert. Mag sein, dass er in den vergangenen sieben Jahren genug Zeit hatte, sich das alles zurechtzulegen. Dennoch: Nach diesem Nachmittag lässt sich nur noch schwer behaupten, er sei ein von Wahnvorstellungen getriebener Verrückter.