Süddeutsche Zeitung

Modesport Wandern:Trend nach oben

Sein Bundhosen- und Wadlstrumpfimage hat das Wandern längst abgelegt. Inzwischen streben die Massen in die Natur. Die meisten Bergsteiger sind dabei Genussmenschen, die sich nicht stundenlang schinden möchten. Der Tourismus richtet sich darauf ein.

Christian Sebald

Es ist ein strahlend blauer Spätsommertag, die steile Wiese oberhalb der Staffelalm liegt im Sonnenglanz. Von überall her tönt das Glockengeläut des Jungviehs, unermüdlich malmend weiden die Rinder das an vielen Stellen taunasse Gras ab.

Obwohl es erst halb elf ist, ziehen die Bergwanderer schon grüppchenweise den Serpentinenpfad zum Rabenkopf hoch. Der 1559 Meter hohe Voralpengipfel bei Kochel ist ein Aussichtsberg erster Klasse. Nach Westen liegen einem das Kochler Moor und Benediktbeuern zu Füßen. Nördlich dahinter schimmert der Starnberger See in der Sonne.

Im Süden ragen das Gipfelmeer von Karwendel und Wetterstein auf. Und im Nordosten thront die Benediktenwand. Der richtige Platz also zum Schauen und Genießen. Aber an diesem Tag herrscht so großes Gedränge auf dem kleinen, felsigen Rabenkopf-Gipfel, dass sich kaum ein Wanderer niederlässt. Schon nach wenigen Minuten zieht es die meisten abwärts zur Staffelalm.

Es ist gar nicht so lange her, dass der Rabenkopf einer der stilleren Gipfel der bayerischen Voralpen war. Doch inzwischen hat der Trendsport Bergsteigen solche Dimensionen angenommen, dass nicht mehr nur der Wendelstein, die Benediktenwand, der Hirschberg und andere Münchner Traditionsgipfel von langen Karawanen Wanderern heimgesucht werden. Sondern auch vormals sehr viel weniger bestiegene Berge.

"Egal ob Wandern, Bergsteigen oder Klettersteiggehen, alles was mit den Bergen zu tun hat, ist absolut in", sagt Georg Overs, der seit sechs Jahren den Tourismus am Tegernsee managt und zuvor lange Jahre Kurdirektor von Bad Tölz war. "Von Jahr zu Jahr zieht es mehr Menschen ins Gebirge." In Regionen wie dem Oberland oder dem Isarwinkel ist inzwischen mindestens jeder dritte Urlauber ein Wanderer oder Bergsteiger.

"Und bei den Ausflüglern aus München sind es natürlich noch sehr viele mehr", sagt Overs. Beim Deutschen Alpenverein (DAV) sieht man das nicht anders. "Der Trend zum Bergsport ist ungebrochen", sagt DAV-Vizepräsident Ludwig Wucherpfennig. "Das sieht man allein daran, dass wir Jahr für Jahr um die fünf Prozent Mitgliederzuwachs haben." 939 000 Mitglieder zählt der DAV inzwischen, er ist längst der mitgliederstärkste Bergsteigerverein der Welt.

Die Bergsteiger werden aber nicht nur immer mehr, sondern auch jünger. "Selbst das Bergwandern hat das Bundhosen- und Wadlstrumpf-Image längst abgelegt", sagt der Bergautor Manfred Pröttel, der auch dem Vorstand der Umweltorganisation Mountain Wilderness angehört. "Es sind immer mehr junge Leute um die 20 oder 25 unterwegs, sei es zu zweit oder in Gruppen, auf leichten Wanderwegen genauso wie auf Klettersteigen. Vor 30 Jahren war so etwas unvorstellbar."

Und noch etwas ist neu: Die modernen Bergsteiger sind zumeist Genussmenschen, die das Idyll suchen. Sie wollen sich nicht mehr schinden, fünf oder gar sechs Stunden einen Berg hinaufquälen, bis sie endlich oben am Gipfel stehen. "Sie wollen einen gemütlichen Aufstieg über 700 oder 800 Höhenmeter und eine phantastische Aussicht", sagt Stefan Winter, der beim DAV für das Thema Sicherheit zuständig ist. "Und oben eine griabige Hütte oder wenigstens eine Alm, in der man ein Speck- oder ein Kasbrettl kriegt und eine Halbe Bier."

Das hat Folgen. Die Wegenetze etwa werden immer ausgefeilter. Am Tegernsee haben Tourismuschef Overs und seine Leute in ihrem neuen Masterplan als Ziel formuliert: "Errichtung und herausragende Inszenierung von mindestens zehn qualitätsgesicherten zielgruppengerechten und besonders erlebnisintensiven Rundtouren für jedes der drei Faszinationsfelder: sportliche Höhen, genussvolle Bewegung und natürlich Familie." Aber nicht nur das. Eine jede dieser Rundtouren wird mit "zielgruppengerechten Möblierungen" ausgestattet, "TraumLiegen" etwa oder "KinderTraumSpielstationen".

Auch beim Alpenverein haben sie die Zeichen der Zeit erkannt. Dort entwickeln sie ebenfalls Genusstouren, im Spitzinggebiet zum Beispiel, im Chiemgau und im Karwendel, und bewerben sie in aufwendig gestalteten Faltblättern. Und die Alpenvereinshütten sind längst nicht mehr nur einfache Übernachtungsstützpunkte. Sie bieten immer mehr Komfort.

"Die Leute wollen nicht mehr mit 60 anderen im Matratzenlager schlafen, wo mindestens einer laut schnarcht", sagt DAV-Vize Wucherpfennig. "Und sie wollen morgens duschen." Wann immer also eine DAV-Hütte modernisiert wird, werden die Matratzenlager verkleinert und Duschen eingerichtet. Die hütteneigene Kläranlage zur Aufbereitung des Abwassers ist ebenso Standard wie die Solarzellen auf dem Dach, damit viel warmes Wasser da ist. Und natürlich stehen längst Cappuccino und Latte macchiato auf den DAV-Speisekarten.

Damit nicht genug. Seit geraumer Zeit schildern der Alpenverein und die Touristiker die Wanderwege neu aus, mit leuchtend gelben Schildern, auf denen nicht mehr nur die jeweiligen Ziele, sondern auch Gehzeiten und die Schwierigkeit des Weges angegeben sind. Die Klassifizierung folgt der Einteilung der Skipisten: Blau für einfach, rot für mittelschwer und schwarz für so schwer, dass sich nur geübte Bergsteiger auf diese Wege wagen sollten. Die Systematik ist nicht unumstritten. Fachleuten wie Pröttel ist sie zu simpel. "Vor allem im schwierigeren Bereich wären feinere Unterscheidungen nötig", sagt er. Überdies stört sich Pröttel an dem "Schilderwald, den man jetzt plötzlich an vielen Wegen antrifft".

Auch am Rabenkopf hat der Alpenverein schon die neuen Schilder aufgestellt. Überall entlang der Wege und Pfade hinauf leuchten sie einem entgegen, so dass man sich auf keinen Fall verlaufen kann. Und den Weg von Pessenbach herauf haben der Wegewart und seine Helfer aufwendig hergerichtet. Der Treppensteig oberhalb der Ortereralm ist so neu, dass man meint, noch die frischen Rundhölzer riechen zu können, die sie hier verbaut haben. Man darf sich also nicht wundern, wenn der Wanderparkplatz unten an der Straße auch an diesem Sonntag schon morgens gegen halb neun fast voll belegt ist. Es soll richtig gutes Bergwetter geben.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2012/wib
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