Modellversuch "Mittelstufe Plus":Alles drängt zum G 9

Abiturprüfung am Gymnasium Gröbenzell, 2014

Ohne Wahl: Diese Schüler lernten acht Jahre bis zur Abiturprüfung, doch manche sagen heute, sie hätten sich auch lieber für mehr Zeit entschieden.

(Foto: Johannes Simon)
  • Der Zuspruch für das neunjährige Gymnasium wächst: 60 Prozent der Siebtklässler an den 47 Pilotschulen haben sich verbindlich angemeldet.
  • Auch jene, die bei dem Modellversuch nicht zum Zug kamen, machen sich Hoffnungen , dass die Mittelstufe Plus und damit das neunstufige Gymnasium wieder zum Standard an bayerischen Gymnasien wird.

Von Anna Günther

Der Druck auf die Staatsregierung, sich zum neunjährigen Gymnasium zu bekennen und es schneller für alle zu ermöglichen, wächst. Der Zuspruch von Eltern, Schülern und Lehrern wurde in den letzten Wochen mit jeder Hochrechnung der Anmeldezahlen größer. 60 Prozent der Siebtklässler an den 47 Pilotschulen haben sich verbindlich angemeldet, gerade an den Landgymnasien sind es bis zu Dreiviertel eines Jahrgangs. Auch jene, die bei dem Modellversuch nicht zum Zug kamen, machen sich Hoffnungen , dass die Mittelstufe Plus und damit das neunstufige Gymnasium wieder zum Standard an bayerischen Gymnasien wird.

Die Kinder hoffen auf mehr Freizeit ohne Nachmittagsunterricht, die Vereine versprechen sich mehr Nachwuchs in Orchestern, Fußballmannschaften oder Theatergruppen. Die Schulleiter einiger Landgymnasien sehen einen Ansatzpunkt, um der Abwanderung geeigneter Grundschüler auf die Realschule etwas entgegenzusetzen. Gerade in diesem Punkt ist der Unterschied zwischen Stadt und Land immens. In München hat sich kein einziges Gymnasium für den Pilotversuch beworben. Auf dem Land ist in Zeiten von demografischem Wandel und Abwanderung das Gerangel um die Kinder ausgebrochen.

Gerechtigkeit für die Kinder

"Allein vom demografischen Wandel und der überalterten Gesellschaft gedacht, spricht alles für das G 8", sagt Günter Jehl, der Schulleiter des Ortenburg-Gymnasiums in Oberviechtach. Für die Kinder würde er sich allerdings mehr Zeit wünschen. "Die Frage ist doch, was ich mit jungen Menschen erreichen kann, wenn sie ein Jahr länger in der Schule sind", sagt Jehl. "Sie können mit 18-Jährigen ganz andere Lektüren lesen oder naturwissenschaftliche Versuche machen." Er hofft, mit dem neunjährigen Gymnasium wieder mehr Schüler zu erreichen, die nur aus Sorge vor dem Lernpensum des G 8 mit einem 1,0-Notenschnitt an die Realschule gehen.

In den entlegeneren Landkreisen wie etwa in Kronach in Oberfranken formieren sich Elterninitiativen und Lokalpolitiker, die Gerechtigkeit für ihre Kinder fordern, weil diese das "Pech" hätten, nicht an einem der 47 ausgewählten Modell-Gymnasien zu lernen. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hatte erst Ende April wieder Hoffnungen geschürt und die Kraft des Wählerwillens betont: "Wenn die Bevölkerung sich in diesem Ausmaß entscheidet, werden auch die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt." Was das heißen soll und wie lange die Zusage gilt, war Schulleitern und Verbänden aber nicht ganz klar. Der Dringlichkeitsantrag der Freien Wähler, alle interessierten Kinder zuzulassen, war Mitte April im Landtag gescheitert. Kurz darauf kam Seehofers Bekenntnis zum Wählerwillen. Entsprechend bekräftigte die Freien Wähler erneut ihre Forderung. Auch die restlichen 24 Schulen, die sich beworben hatten, sollen noch rasch in den Modellversuch aufgenommen und die Schulen nicht länger im Budget beschränkt werden.

Parteien fordern Reform der Lehrpläne

Das Kultusministerium rechtfertigt die Beschränkung der Teilnehmerzahl mit der intensiven Betreuung des Projekts, die bei mehr als 47 Schulen nicht mehr zu leisten wäre. Am Donnerstag können die Abgeordneten im Landtag zeigen, wie sie zum Wählerwillen und der Mittelstufe Plus stehen: Gesetzesentwürfe der SPD und der Grünen zur Reform des Gymnasiums stehen im Plenum zur Abstimmung an. In den Ausschüssen waren sie durchgefallen. Die Grünen fordern eine Reform des Lehrplans, die Lernen im eigenen Takt und mehr Eigenständigkeit bringen soll. Die Jugendlichen sollen nach der 10. Klasse entscheiden, ob sie in zwei oder drei Jahren bis zum Abitur kommen wollen. Die SPD will jetzt schon neun Jahre im Gesetz verankern. "Wir müssen klar vom neunjährigen Gymnasium her denken, die Mehrheit der Eltern möchte das G 9, dann darf nicht im Gesetz G 8 stehen", sagte Martin Güll (SPD). Es zeichne sich ab, dass die Mittelstufe Plus zum Standard werde.

Ähnlich wie der Bayerische Philologenverband ist die SPD für die Wiedereinführung der elften Klasse wie sie früher üblich war: zur Vertiefung des Stoffs oder Auslandsreisen. Der Gesetzesentwurf gebe nur die neun Jahre Schulzeit vor, sagte Güll. Inhalte sollen erst noch gemeinsam erarbeitet werden. Die Fehler, die einst beim G 8 gemacht worden seien, sollten sich nicht wiederholen.

In diesem Punkt sind sich SPD und Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) einig. "Die Entwicklung beim G 8 hielt ich nicht für positiv, daher gehen wir jetzt bewusst einen anderen Weg", sagte Spaenle. Bei der Ausgestaltung des G 9 ist Schluss mit Gemeinsamkeiten: Spaenles Lösung ist die Dehnung der Mittelstufe im Modellversuch. Die Erkenntnisse sollen erst in Ruhe ausgewertet werden. Die Vereinigung der Direktoren an bayerischen Gymnasien und die Landeselternvereinigung halten trotz des Ansturms am G 8 fest und betonen unabhängig von einander, dass die Mittelstufe Plus noch lange keine Rückkehr zum G 9 bedeute.

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