Modellautos aus der Straubinger Forensik:Gefangener seiner Leidenschaft

Modellautos aus der Straubinger Forensik: Ein Oldtimer-Modell - hier ein Mercedes Simplex 1904 -, das von der Firma "Sapor Modelltechnik" vertrieben wird.

Ein Oldtimer-Modell - hier ein Mercedes Simplex 1904 -, das von der Firma "Sapor Modelltechnik" vertrieben wird.

(Foto: oh)

Roland S. hat drei Männer getötet. Seitdem sitzt er hinter Gittern und baut Modellautos in nahezu unglaublicher Perfektion - eine Leidenschaft, für die sich auch das Ehepaar Haderthauer lange interessiert hat. Heute fühlt sich Roland S. von den beiden ausgenutzt.

Von Dietrich Mittler

Zwischen Roland S. und der Außenwelt stehen hohe Mauern, Panzerglastüren und Sicherheitsschleusen. Besucher empfängt der 74-Jährige, der in den Siebziger- und Achtzigerjahren drei junge Männer getötet hat, eher selten - und wenn, dann im nüchternen Rahmen, den das Bezirkskrankenhaus Straubing für solche Fälle bereithält. Das Besuchszimmer ist hell und geräumig, jedoch steht gerade das Nötigste drin: ein Tisch, drei Stühle - und mehr oder weniger versteckt eine Kamera, die bei Rechtsanwaltsbesuchen auf Verlangen abgeschaltet werden kann.

An diesem Tag erwartet Roland S. Besuch aus München. Sein Strafverteidiger Adam Ahmed will mit ihm reden. Es geht um die viel diskutierten Geschäftsverbindungen seines Mandanten zur früheren bayerischen Sozialministerin Christine Haderthauer und deren Mann Hubert. Der war von 1988 bis 1989 der für Roland S. zuständige Arzt in der forensischen Abteilung für psychisch kranke Straftäter in Ansbach. Doch den Arzt und seinen Patienten verband weit mehr.

Roland S. baut bis heute im Rahmen seiner Arbeitstherapie hochwertige Oldtimer-Modelle, die von der Firma "Sapor Modelltechnik" vertrieben werden. Bis 2008 waren die Haderthauers Mitgesellschafter dieser Firma - zunächst sie, dann er. Doch wie dieses Geschäftsverhältnis schließlich abrupt endete, das hat bei Roland S. Wunden geschlagen.

6800 Einzelteilte - per Hand zusammengefügt

Kurz vor 13 Uhr öffnet ein hochgewachsener, bulliger Mann vom Sicherheitsdienst für Rechtsanwalt Ahmed die massive Tür zum Besuchszimmer. Minuten darauf geht eine Tür am anderen Ende des Raums auf. Roland S. kommt herein: schlank, groß, mit hellen wachen Augen und intelligenten Gesichtszügen. Ein wenig nervös und zurückhaltend, dabei aber zugleich behände und kraftvoll, nimmt er auf einem der Stühle Platz, in der Hand die vorbereiteten Unterlagen.

Die bestehen zu einem großen Teil aus Fotos, die der 74-Jährige am Abend zuvor am Computer noch rasch ausgedruckt hat. Sie zeigen Automodelle, hergestellt in einer nahezu unglaublichen Perfektion - darunter etwa ein Modell aus der Reihe "Hispano Suiza", das in Handarbeit aus 6800 Einzelteilen zusammengefügt wurde.

Autos wie diese waren bereits zur Zeit ihrer Entstehung Luxusartikel - gebaut für Menschen mit ungewöhnlich viel Geld. Über die mehr als 120 Modelle, die Roland S. gebaut hat, ließe sich gleiches sagen. Sie werden auf exklusiven Ausstellungen präsentiert, und das nicht nur in Paris. Ihr Ruf reicht bis weit über den Atlantik. Erst spät und nur zufällig erfuhr Roland S., was seine Modelle einbringen: auf Auktionen mehr als 30.000 Euro, wurde ihm zugetragen.

30.000 Euro für ein einzelnes Modell

Aufgeregt legt Roland S. Foto um Foto auf den Tisch, zeigt mit dem Finger auf filigrane Motorteile, erzählt davon, welche Mühe es macht, edle Holzteile - etwa am Lenkrad - im Maßstab eins zu acht in ihre Form zu bringen. Selbst winzigste Details entsprechen dem Original, Perfektion bis ins Äußerste, die sich bereits in den Konstruktionszeichnungen ankündigt, die Roland S. entworfen hat. Dieser Leistung bewusst, bemüht er sich dennoch um Zurückhaltung. Von Ahmed darauf angesprochen, räumt er ein: "Eigentlich kann man schon stolz sein, wenn die Arbeit etwas wert ist."

Nach seiner ersten Tat hatte Roland S. - von Beruf Bauschlosser - während seiner Haft in Freiburg damit begonnen, Modellautos zu bauen. "Dabei kam ihm seine akribische bis ins Einzelne planende Wesensart zugute, verbunden mit seiner präzisen und ausdauernden Fingerfertigkeit", zitierte der renommierte Spiegel-Gerichtsreporter Gerhard Mauz 1988 aus Prozessgutachten. Nach zwei weiteren Morddelikten kam Roland S. als psychisch kranker Straftäter schließlich ins Bezirkskrankenhaus Ansbach.

Dort realisierte er rasch, dass es "da nur Tütenfalten als Arbeitstherapie gibt, und sonst nichts". Diese abstumpfende Arbeit wollte Roland S., bei dem ein Intelligenzquotient von 145 gemessen wurde, auf gar keinen Fall machen. Lieber wollte er sagen können: "Ich arbeite hier bis an den Rand der Selbstausbeutung. Aber es ist eine sinnvolle Arbeit." Er sann nach einem Ausweg: Warum nicht wieder hochwertige Modelle bauen, "Schiffe, Eisenbahnen, oder eben auch Autos"? Er bat seine Schwester, ihm jenes Rolls-Royce-Modell zu bringen, das er in Freiburg gebaut hatte. "Ich habe das den Ärzten gezeigt, und die waren hellauf begeistert", erinnert er sich.

Tief sitzender Selbsthass brach aus

Damit gelang Roland S. der lang ersehnte Durchbruch, der ihm bislang versagt geblieben war. Bereits seine Kindheit war von Demütigungen und familiärem Missbrauch geprägt. Oft musste er gegen das Gefühl ankämpfen, nichts wert zu sein. Gutachter stellen ihn 1988 als einen Mann dar, der hohe Ansprüche an sich selbst stellt. Doch der tief sitzende Selbsthass, auch in Bezug auf die eigene Homosexualität, sei schließlich mit furchtbarer Wucht auf die späteren Opfer umgeschlagen.

"Es ist schrecklich, und ich weiß bis heute nicht, warum das geschah. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund - das ist ja das Schlimme", sagt er zu Ahmed. Lange habe er "es fertig gebracht, das als nicht existent zu betrachten". Nach einer Pause fügt er hinzu: "Das war offensichtlich eine mechanische Abwehr, um überhaupt weiterleben zu können." Inzwischen nimmt Roland S. an Therapien teil, um endlich auch in jenen Teil seiner Seele blicken zu können, der ihm immer noch versperrt ist.

Der selbstvergessene Einsatz für den Modellbau war - eigener Aussage nach - indes nicht nur der Sehnsucht nach sinnvoller Arbeit geschuldet, sondern ein Stück weit auch selbst auferlegte Buße. Obwohl Roland S. im Bezirksklinikum Ansbach sogenannte Lockerungen erfuhr, etwa begleitete Ausgänge, stimmte er einer Umverlegung nach Straubing zu. Nur damit er dort weiter Modellautos bauen konnte. Gutachter hielten das mit Verwunderung fest, denn der Preis dafür war hoch: In Straubing gibt es keine Lockerung.

138 Monatslohn und ein bisschen Respekt

Andere haben womöglich davon profitiert, dass sich Roland S. mit solcher Hingabe dem Modellbau widmete - auch wenn Hubert Haderthauer es abstreitet, dass mit der Firma "Sapor Modelltechnik" viel Geld zu verdienen war. Robert S. jedenfalls war froh, diese Arbeit machen zu können. Die 138 Euro Monatslohn waren da noch der kleinere Anreiz, obwohl dieser Betrag weit über dem liegt, was andere im Rahmen ihrer Arbeitstherapie erhalten.

Viel mehr zählte für Roland S., dass er bei seinen Mitpatienten im Ansehen stieg. Etliche wollten bei ihm mitarbeiten, so auch Gustl Mollath in seiner Zeit in Straubing. An den mittlerweile wohl bekanntesten Psychiatrie-Fall Deutschlands erinnert sich Roland S. gut. "Er war auf derselben Station wie ich", sagt er, "und er wollte in mein Team - aber sie haben ihn nicht gelassen."

Einer der Menschen, denen Roland S. am nächsten steht, ist ausgerechnet jener Beamte, der ihn schließlich überführte. Und das, obwohl der ihm in den letzten beiden Fällen zunächst kaum etwas nachweisen konnte. "Er sagte zu mir: 'Da ist eine Mutter, die will endlich um ihren Sohn trauern können' - da brach ich in Tränen aus und habe alles gestanden." Der Beamte lud ihn im Rahmen der Lockerung mehrmals ein. "Da hat der Jäger den Gejagten in sein Haus geholt", sagt Roland S. gerührt. "Ich habe nie in meinen Leben eine solche Aufnahme gefunden." Kurz unterbricht er den Redefluss. Auf dem Gang knallen Türen ins Schloss - jemand pfeift penetrant laut, dann kehrt die Stille zurück.

"Natürlich habe ich mich über das Du gefreut"

Roland S. fährt fort zu erzählen. Anfangs sei auch das Verhältnis zu Hubert Haderthauer ein sehr vertrautes gewesen. "Einmal wurde ich bei den Haderthauers in ihrem Haus empfangen, bevor wir in Ingolstadt zum Essen gingen. Und natürlich habe ich mich über das von beiden angebotene Du gefreut", sagt der 74-Jährige. Dann aber sei es abrupt und für ihn völlig unverständlich zum Bruch gekommen.

Fakt ist: Als Christine Haderthauer Sozialministerin 2008 wurde, stieg auch Hubert Haderthauer aus der Firma "Sapor Modelltechnik" aus. Roland S. sagt, er habe bald darauf über Dritte erfahren, dass Herr und Frau Haderthauer keinen Wert mehr auf einen weiteren Kontakt legten. Später habe Roland S. herausgefunden, dass Hubert Haderthauer auf einer Internetseite als Konstrukteur des dort angebotenen Modellautos genannt ist. "Ich war blauäugig genug, bis dato niemals an der redlichen Gesinnung des Dr. Haderthauer zu zweifeln", sagt Roland S. zu seinem Rechtsanwalt.

Haderthauer indes sieht sich als Opfer einer Kampagne, wie er auf Nachfrage mitteilt. Vor kurzem erst habe er erfahren, dass Roland S. "in Bezug auf meine Person" angekündigt habe: "Den werde ich vernichten." Dass sein Kontakt zu dem heute 74-Jährigen abgebrochen sei, habe "schlicht damit zu tun, dass ich 2008 die Firma weiterverkauft habe".

Ein einziges Mal sei Roland S. in Begleitung bei ihm zu Hause vorbeigekommen. "Die Behauptung, wir seien in Ingolstadt miteinander essen gegangen, ist falsch." Überdies habe er sich selbst nie als Konstrukteur bezeichnet. "Für Angaben Dritter auf anderen Homepages bin ich weder verantwortlich, noch habe ich diese veranlasst," teilt er schriftlich mit.

Christine Haderthauer beim Chrysanthemenball, 2010

Nicht nur privat, sondern früher auch geschäftlich verbandelt: Staatskanzleichefin Christine Haderthauer und ihr Ehemann Hubert Haderthauer.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Lockerung oder innere Freiheit?

Als Rechtsanwalt Ahmed schließlich den Besucherraum verlässt, öffnet sich auch am anderen Ende des Zimmers die schwere Tür. Roland S. geht zurück in eine Welt mit streng geregelten Tagesabläufen. Der Alltag beginnt dort morgens um sieben mit der automatischen Öffnung der Zimmertüren, setzt sich kurz nach acht Uhr mit dem Gang zu den Werkstätten fort und klingt schließlich um fünf vor halb fünf im Feierabend aus.

Dann sitzt Roland S. wieder an seinen Plänen für weitere Modellautos. Längst hofft er darauf, nach Ansbach zurückverlegt zu werden - der Lockerungen wegen. Seine Therapeuten haben das 2010 befürwortet. Aber die Modellautos, die ihm einst innere Freiheit verschafften, sie halten Roland S. in Straubing fest.

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