Mitterfirmiansreut:Wenn Duschen zum Luxus wird

Mitterfirmiansreut: Der Trinkwasserspeicher in Frauenau versorgt weite Gebiete im Bayerischen Wald. Orte, die nicht an ihn angeschlossen sind, haben derzeit ein Problem.

Der Trinkwasserspeicher in Frauenau versorgt weite Gebiete im Bayerischen Wald. Orte, die nicht an ihn angeschlossen sind, haben derzeit ein Problem.

(Foto: Ingo Zahlheimer)

In einigen Bayerwald-Gemeinden geht das Trinkwasser aus. Knödel kochen, Zähne putzen, aufs Klo gehen - alles schwierig. Nur für die Schneekanonen ist genügend Wasser da.

Von Andreas Glas, Mitterfirmiansreut

Beate Hubig liegt noch im Bett, als der Klimawandel ihr Hotel erreicht. Es ist Mitte Oktober, es ist Kirchweihsonntag, es ist sieben Uhr in der Früh. Es dämmert in Mitterfirmiansreut, das erste Licht kriecht durch die Fenster des Hotels Sportalm. Da trommelt die Frühstücksdame gegen ihre Schlafzimmertür. Beate Hubig schreckt hoch, rumpelt zur Tür. "Du musst sofort was tun", sagt die Frühstücksdame, "wir haben kein Wasser." Beate Hubig zieht sich etwas über, unten in der Gaststube stehen schon die Leute und beschweren sich. Ihr Hotel ist ausgebucht, 24 Gäste. "Es konnte keiner duschen, keiner Zähne putzen, auf die Toilette konnten sie nicht gehen", sagt Hubig. "Das war eine Katastrophe."

Ein Dorf sitzt auf dem Trockenen

Eine Weile später sitzen die 24 Gäste in der Stube und frühstücken. Ungewaschen, mit zerzausten Haaren, mit Belag auf den Zähnen. Es gibt keine Frühstückseier, der vorgekochte Kaffee reicht nicht für alle - und in der Küche tigert Koch Ben Roth auf und ab. Ein kräftiger Kerl mit kurz geschorenem Haar, mit tätowierten Unterarmen. Ein Mannsbild, das um sein Knödelwasser zittert. Es ist ja Kirchweihsonntag, mittags werden die Tische voll sein, "da war ich schon g'scheit nervös", erinnert sich Ben Roth, 26. Am Ende hat er die Knödel rechtzeitig hingekriegt, nach drei Stunden kam endlich wieder Wasser aus dem Hahn gelaufen.

Wenn mitten in Europa, mitten im Bayerischen Wald, ein ganzes Dorf auf dem Trockenen sitzt, dann muss etwas schief gelaufen sein. Dass es kein Wasser gibt, kannten sie hier nur aus dem Fernsehen - wenn aus der sogenannten Dritten Welt berichtet wurde. Doch nach zwei schneearmen Wintern und dem trockenen Sommer ist im unteren Bayerischen Wald plötzlich alles anders.

Bei mildem Wetter wird das Wasser knapp

"Normalerweise liegt um diese Zeit schon ein halber Meter Schnee", sagt Beate Hubig, 52, Brille, praktische Kurzhaarfrisur. Sie sitzt in der Gaststube, der Herrgott hängt über der Eckbank, vor ihr auf dem Teller liegt ein Zwiebelschnitzel. Überraschend komme das alles nicht, sagt Hubig. Weil das Wetter immer milder werde, sei auch das Wasser immer mal wieder knapp gewesen. Die Gemeinderäte, sagt Hubig, seien jahrzehntelang zu knausrig gewesen, um ins Trinkwassersystem zu investieren: "In der Vergangenheit haben sie die Zukunft vergessen."

Einer, der für die Vergangenheit wenig kann, ist Helmut Knaus, 53. Ein Jahr ist Knaus erst Bürgermeister in Philippsreut - und damit auch im 400-Seelen-Ortsteil Mitterfirmiansreut. Er trägt lockiges Haar und Schnauzer, er schaut ein bisschen aus wie der Schlagersänger Wolfgang Petry. Ohne Freundschaftsbändchen, dafür mit müden, rot unterlaufenen Augen. Er steht auf einem Waldweg und neben ihm parkt einer der beiden Milchlaster, die zurzeit in Dauerschleife Trinkwasser aus dem acht Kilometer entfernten Mauth nach Mitterfirmiansreut karren.

Siebenmal am Tag dockt der Fahrer zwei blaue Schläuche an den Laster an, siebenmal am Tag pumpen die Schläuche 16 000 Liter Wasser quer durch den Wald hinunter ins Dorf. Im Winter wollte Helmut Knaus anpacken, was sein Vorgänger in 18 Jahren nicht hingekriegt hat: Ein Konzept entwickeln, um die Hochbehälter und die Quellen im Dorf zu sanieren - zum ersten Mal seit 47 Jahren. "Aber jetzt hat mich die Wirklichkeit überholt", sagt Knaus.

Bürgermeister hofft auf Hilfe vom Freistaat

Neulich hat er durchgerechnet, was die Sanierung kosten würde: zwei Millionen Euro. Utopisch für eine kleine Gemeinde wie Philippsreut. "Wie soll ich zwei Millionen auf 672 Bürger umwälzen?", fragt Knaus, presst die Augenlider zusammen, reibt mit Daumen und Zeigefinger an seiner Nasenwurzel und sagt: "Das kann man vergessen. Da kann ich nur sagen: Liebe Bürger, das war's mit der Wasserversorgung, verlassen Sie das Dorf!" Der Bürgermeister hofft jetzt darauf, dass der Freistaat ihm finanziell unter die Arme greift. Mitterfirmiansreut ist ja nicht der einzige Ort im Bayerischen Wald, in dem das Wasser knapp ist.

Helmut Knaus parkt seinen Geländewagen am Straßenrand, steigt aus, kraxelt eine Böschung hinauf und holt einen Schraubenschlüssel aus der Jackentasche. Er schraubt an einer Luke herum, die aus dem Waldboden ragt, klappt den Deckel der Luke nach oben, schaut hinunter in einen tiefen Schacht. Insgesamt 21 eigene Quellen hat Mitterfirmiansreut, sechs davon laufen in diesem Schacht zusammen.

Normalerweise rauscht und platscht und blubbert es hier nur so - zurzeit klingt es eher, als pinkle da unten ein alter Mann in eine Pfütze. Sechs Leitungen ragen aus den Wänden des Schachts, aus zweien rinnt ein dünner Strahl, einer tröpfelt, drei sind komplett trocken. "Ein Wahnsinn", sagt Knaus.

Auf der Suche nach Trinkwasser

In den vergangenen Wochen hat Knaus an vier Stellen im Ort nach Trinkwasser bohren lassen. Ohne Erfolg. Und die Zeit drängt. Wenn der Boden gefriert, bevor es regnet, kann der Milchlaster nicht mehr hinauffahren in den oberen Ortsteil. Knaus hat bereits einen Sammelschacht buddeln lassen, hat 800 Meter Rohre besorgt, um das Wasser aus dem Schacht nach oben pumpen zu können. Die Hauptsaison geht ja bald los, "das ist unser Hauptproblem", sagt Knaus. Wenn die Skitouristen kommen, hat Mitterfirmiansreut mit einem Schlag 800 Einwohner statt 400 - und braucht das Doppelte an Trinkwasser.

Im Nachhinein betrachtet, hat die Gemeinde den größten Fehler in den Siebzigerjahren gemacht. Damals wurde im 45 Kilometer entfernten Frauenau ein Trinkwasserspeicher angelegt, um die meisten Orte im Bayerischen Wald zu versorgen. Nur einzelne Gemeinden haben nicht mitgemacht, darunter Philippsreut. Weil es den Gemeinderäten zu teuer war und weil sie glaubten, das eigene Quellwasser würde schon reichen. Helmut Knaus findet, "man hätte vorausschauender planen können". Er gibt aber zu, dass er selbst nicht gedacht hätte, "dass sich das Klima so schnell ändern kann".

Kein Trinkwasser, aber jede Menge Wasser für Kunstschnee

Auch in Mitterfirmiansreut gibt es einen Speichersee - und der ist sogar gut gefüllt, er fasst 27 500 Kubikmeter. Theoretisch genug, um den Ort ein Dreivierteljahr mit Wasser zu versorgen. Der Haken: Das Wasser im Speichersee ist dafür da, die Schneekanonen der Gemeinde zu füllen.

Dass kein Trinkwasser da ist, aber jede Menge Wasser für Kunstschnee, das findet Peter Mayer ziemlich absurd. Mayer, 68, krauses Haar, Brille, ist Vorsitzender des Bundes Naturschutz im Kreis Freyung-Grafenau. Ihn stört es, dass im Ort gerade die nächsten Schneekanonen und Flutlichtmasten aufgebaut werden, "im Wissen um die Folgen des Klimawandels, in dem wir uns bereits befinden und in dem mit Wassermangel weiterhin zu rechnen ist". Wenn es weniger schneie, müsse die Gemeinde eben stärker auf Wandertouristen setzen, findet Mayer. Das sei schonender für die Natur - und spare Wasser.

Haben sie sich in der Gemeinde Philippsreut zu lange auf die Skiurlauber konzentriert - und aus Gier nach höheren Tourismuseinnahmen die Trinkwasserversorgung vernachlässigt? Es sei ein zweischneidiges Schwert, sagt Hotelbetreiberin Beate Hubig, während sie auf ihrem Zwiebelschnitzel kaut: "Wir brauchen das Wasser, aber wir brauchen auch die Skifahrer. Und wenn wenig Schnee liegt, dann brauchen wir auch die Schneekanonen."

Um trotzdem etwas gegen das Wasserproblem zu tun, bittet Hubig ihre Gäste schon beim Check-in darum, sparsam mit dem Leitungswasser umzugehen. "Die meisten haben Verständnis", sagt Hubig. Aber eine Dauerlösung sei das nicht, findet Ben Roth, der Koch in der Sportalm: "Die Gäste zahlen eine Stange Geld. Denen zu sagen, dass sie nur noch einmal am Tag duschen dürfen, das geht nicht."

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