Süddeutsche Zeitung

Mittenwald:Maschkera gehen

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Im Werdenfelser Land wird ein archaisch anmutender Fasching gefeiert

Von Hans Kratzer, Mittenwald

Wer das wahre Wesen des Faschings ergründen will, sollte in der kommenden Woche unbedingt ins Werdenfelser Land fahren, also in jenen Landstrich zwischen Mittenwald, Garmisch-Partenkirchen und Farchant, der sich schon durch den dort gepflegten kehligen Dialekt stark vom Rest der Republik unterscheidet. Dort wird noch ein archaisch anmutender Fasching gefeiert, vor allem wenn die Einheimischen "Maschkera gehen". Nach alter Tradition setzen sie dann kunstvoll geschnitzte Holzmasken auf, die oft schon seit Generationen im Familienbesitz sind und wie ein Schatz gehütet werden. Allerdings sind manche diese Larven auch kaputt gegangen, denn früher wurde bei den Maschkera-Umzügen gerne gerauft. Die Larven garantieren ihren Trägern jedenfalls jene Anonymität, die früher in der Fasnacht eine Art Ventilfunktion hatte. "Einmal im Jahr konnte man in Zeiten ohne Meinungsfreiheit all das loswerden, was sich angestaut hatte", sagt der Larvenexperte Dirk Eckert. Geschützt durch die Maske, durften die Menschen also ungestraft gegen die Obrigkeit wettern, oder ruozen, wie man dort sagt.

Die Werdenfelser Pfleger, die einst die weltliche Gerichtsbarkeit ausübten, hatten die soziale Reinigungsfunktion der Fasnacht früh erkannt. Sie wussten: Durften die Menschen einmal im Jahr die Sau rauslassen, ließ sich in der restlichen Zeit leichter Ruhe herstellen. Während die Pfleger also die Fasnacht unterstützten, schimpften die Pfarrer unablässig gegen das unzüchtige Verhalten des Faschingsvolks - jedoch ohne Erfolg. Einmal musste ein Pfarrer seinen Widerstand sogar mit dem Leben bezahlen. Letztlich schafften es nicht einmal die Nazis, die Werdenfelser Faschingsriten in ihrem Sinne umzudeuten.

Die Mittenwalder Fasnacht und ihre Larven. Fotos: Dirk Eckert

Wer den Faschingsendspurt im Werdenfelser Land erleben will, sollte sich freilich vor allzu großer Nähe hüten. Einen Maschkera zu berühren, steht nämlich unter strenger Strafe. Auf alle Fälle ist es ein ganz besonderer Moment, wenn am Unsinnigen Donnerstag die sogenannten Schellenrührer mit dem Mittagsschlag der Pfarrkirche St. Peter und Paul aus einem der historischen Hauseingänge im Mittenwalder Ortskern springen. Aber nicht nur die "Schellenrührer", sondern auch Goaßlschnalzer, Jacklschutzer, Pfannenziacher und viele andere knorrige Gestalten sind zu bestaunen. Dass sie wie ursprünglich den Winter austreiben sollen, hat sich eh erübrigt.

Im Geigenbaumuseum Mittenwald ist zurzeit eine Ausstellung über die Mittenwalder Fasnacht zu sehen. Gezeigt wird unter anderem die älteste bekannte Larve aus dem Jahr 1655.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2020
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