Süddeutsche Zeitung

Mittenwald:Ein Schwimmbad muss her

Knapper Bürgerentscheid zwingt Mittenwald zum Neubau - obwohl sich die Kommune das eigentlich nicht leisten kann

Von Johann Osel, Mittenwald

Ziemlich klar hatte Mittenwalds Bürgermeister geschildert, wie die Lage in seinen Augen ist. "Wir können uns das Bad nicht mehr leisten", sagte Adolf Hornsteiner (CSU) im November, ein paar Tage später schloss das Karwendel-Bad gegenüber vom Rathaus. Nur 30 000 Badegäste, plus 14 000 in der Sauna, zähle man im Jahr, die Betriebskosten von 650 000 Euro seien zu keiner Zeit gedeckt gewesen. Hohen Sanierungsbedarf habe das Jahrzehnte alte Hallenbad mit Außenbecken, eine Schließung aus baulichen Gründen sei fast eine Frage der Zeit. Und Umfragen unter den Touristen zeigten, dass 95 Prozent von ihnen nicht schwimmen gehen. Kurzum: Es sei fraglich, ob ein Bad angesichts vieler Aufgaben der Kommune "wirklich existenziell wichtig" sei für den Ort. Die Antwort weiß man seit Sonntag: Ja, es ist wichtig für die Bürger - für eine knappe Mehrheit zumindest. Ein Bürgerentscheid zwingt die Gemeinde, Geld aufzutreiben für ein neues Bad.

Abgestimmt wurde über ein Bürgerbegehren für den sofortigen Bad-Neubau sowie über ein Ratsbegehren, wonach anderen Projekten wie einer Mehrzwecksporthalle Vorrang gegeben werden solle. Beides fand Zustimmung bei mehr als der Hälfte der Wähler. In der Stichfrage votierte die Mehrheit für das Bad: 50,2 Prozent, 17 Stimmen Vorsprung. "Es war eine knappe, aber eben demokratische Entscheidung, und der haben wir jetzt Folge zu leisten", sagt Hornsteiner. Vor allem aber sei das Ergebnis "eine Herausforderung".

Viele bayerische Kommunen haben ein Problem mit ihren Schwimmbädern. Wie neulich aus der Antwort der Regierung auf eine SPD-Anfrage im Landtag hervorging, mussten im vergangenen Jahrzehnt Dutzende Bäder schließen; weil man sich zwingend nötige Sanierungen nicht leisten kann oder den laufenden Betrieb. Oft beides. Die SPD forderte einen Fonds der Staatsregierung, auch die Freien Wähler wollen Hilfen für Kommunen. Die Bäder seien relevant für die "Lebensqualität" gerade in ländlichen Gebieten, ferner unverzichtbar für das Schwimmenlernen.

Auf der Facebook-Seite der Schwimmbad-Initiative in Mittenwald meint einer: "Ich hoffe, dass jeder von den Befürwortern einmal pro Woche ins Hallenbad geht." 50,2 Prozent regelmäßige Badegäste gibt es dort nicht. In Mittenwald kommt zur Lebensqualität jedoch die Tourismus-Frage hinzu. Der Neubau könne, so die Pro-Schwimmbad-Initiative, den Ort aufpeppen, der sinkende Beherbergungszahlen verbucht. In einem Flyer heißt es: "Schöner Ort und schöne Berge reichen nicht." Baukosten für ein Bad: gut zehn Millionen Euro. Bei den Betriebskosten variieren die Ansichten. Hornsteiner rechnet mit 800 000 Euro im Jahr, die Bad-Befürworter glauben, dass man etwa mit klugem Personaleinsatz und Energieeffizienz viel günstiger arbeiten könne.

Mittenwald ist ein Beispiel, wie per Bürgerentscheid Politik gemacht wird. Vergangenes Jahr wurde das 20-jährige Bestehen des Instruments im Landtag gefeiert. "In der Regel ist der Bürger gar sparsamer als die Mandatsträger", sagte der frühere Ministerpräsident Günther Beckstein und erinnerte an die Sorge bei der Einführung, dass Bürger zu teuere Anliegen hätten. Mittenwald muss nun investieren. Becksteins Parteifreund Hornsteiner kündigt an: "Wir werden die Finanzplanung auf das Votum abstimmen." Wie genau? Das werde sich zeigen, sagt er. Eben das war wohl mit der "Herausforderung" gemeint.

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SZ vom 07.02.2017
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