Mitten in Bayern:Der Schnipsler von Roding

Bis vor kurzem waren nur die Spuren seiner Taten sichtbar - jetzt ist er gefasst: der Schnipsler von Roding. Was er allerdings mit seinen Aktionen bezweckte, ist noch unklar

Kolumne von Dominik Kalus

Vergangene Woche war an dieser Stelle von Serienverbrechern die Rede, bei denen der Ort ihrer Taten fester Bestandteil des Namens geworden ist: vom "Würger von Aachen" zum Beispiel und vom "Treter von Freilassing", der freilich eine Erfindung des Satirikers Jan Böhmermann ist. In diese Liste reiht sich inzwischen ein weiterer Übeltäter ein. Zwar handelt es sich um einen eher harmlosen Zeitgenossen, aber im Gegensatz zum "Treter von Freilassing" existiert er wirklich. Über ein Jahr lang hat er die Behörden in Atem gehalten, hat Anwohner und Stadtverwaltung verstört und ist doch bis auf die Spuren an seinen Tatorten unsichtbar geblieben. Die Rede ist vom "Papierschnipsler von Roding".

Der Unbekannte hat zumeist nächstens handtellergroße Papierschnipsel über die Grünflächen in der Stadt verteilt. Sehr zum Ärgernis des Rodinger Bauhofchefs und seiner Mitarbeiter. Schließlich mussten sie die Schnipsel, die stets von zerrissenen oder zerschnittenen Werbeprospekten stammten, mühsam aufklauben und entsorgen. Bis es dann dem Rodinger Bürgermeister langte und er ein Kopfgeld von 200 Euro auf den Täter aussetzte. Das hat gewirkt: Vergangenen Mittwoch ertappte ein Zeuge den Papierschnipsler auf frischer Tat. Jetzt muss sich der 50-jährige Mann, ein bis dato unbescholtener Mitbürger, wegen "nicht vorschriftsgemäßer Abfallbeseitigung" verantworten.

Während die Bürger in Roding nun wieder ruhig schlafen können, bleibt die Frage nach dem Motiv des Schnipslers offen. Zumindest verlautete nichts davon in den Lokalzeitungen. Das lässt Spielraum für Spekulationen. Womöglich waren die Papierabfälle am Straßenrand und in den Anlagen ja als subversiver Anschlag auf die öffentliche Ordnung gedacht. Wie den Mitgliedern des "Projekt Chaos" aus dem Film "Fight Club" könnte es dem Schnipsler um die Befreiung des Individuums aus der bürokratischen Knechtung der Postmoderne gegangen sein. Das zerfetzte Papier als gleichsam visueller Weckruf, aus dem Alltag auszubrechen. Keiner weiß es. Und vielleicht wird man das Motiv des Schnipslers nie erfahren. Der Zeuge indes, der den Mann gestellt hat, darf sich auf die Belohnung freuen. Die Stadt hat bestätigt, dass er die 200 Euro selbstverständlich bekommt.

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