Süddeutsche Zeitung

Mitten in Rosenheim:Im Schwebezustand

Eine Stadt mit gut 63 000 Einwohnern hat heutzutage mindestens ein großes Problem: den Verkehr. Dass eine Lösungsidee dafür ausgerechnet von einer Partei kommt, die kaum noch einer kennt, überrascht

Kolumne von Matthias Köpf

Eine Stadt, die nicht in den Verdacht geraten will, bloß irgendeine entlegene Gemeinde am Land zu sein, braucht ein richtiges Verkehrsproblem. Dieses Verkehrsproblem entsteht aber in aller Regel sowieso von selber. Denn in einer Stadt wohnen meistens so viele Menschen, dass schon deren eigenes Herumfahren mit dem Auto für einen hausgemachten Stau völlig ausreicht. In Rosenheim zum Beispiel leben mehr als 63 000 Menschen, und weil Rosenheim weitaus die größte Stadt zwischen München und Salzburg ist, zieht es zusätzlich zahlreiche Auswärtige zum Arbeiten, Anliefern oder Einkaufen dorthin. Also Verkehrsproblem, und weil manchen das Radeln zu grün daherkommt und das Zufußgehen nicht fortschrittlich erscheint, muss eine spektakulärere Lösung her. Vielleicht sogar eine mit Spannkraft bis zur Kommunalwahl im März. Und so diskutierten die Rosenheimer Räte neulich über eine Seilbahn durchs Stadtgebiet.

Der Antrag auf eine Machbarkeitsstudie kam aus den Reihen einer Partei, die damit wirklich viele überrascht hat - vor allem deswegen, weil kaum mehr einer wusste, dass es diese Partei immer noch gibt. Aber bitte: In Rosenheim gibt es also noch Republikaner, aus welchen Gründen auch immer. Eine Machbarkeitsstudie für die Stadtseilbahn gibt es dagegen vorerst nicht, obwohl die Stadtverwaltung und die anderen Fraktionen gar nicht so richtig gegen eine Seilbahn sein mochten. Nur wussten weder die Antragsteller noch sonst irgendjemand, von wo nach wo das Seil denn zu spannen sein sollte. Und das liegt gar nicht unbedingt an der Rosenheimer Topografie.

Denn erstens gäbe es ja jenseits des Inns den Schloßberg, der zwar in Stephanskirchen liegt, aber allein wegen des kleinen Höhenunterschieds schon gelegentlich als Bergstation einer Seilbahn im Gespräch war. Und zweitens könnte so eine Seilbahn auch in der Ebene funktionieren, so wie das die jeweiligen Machbarkeitsstudierer gerade für München und Kempten untersuchen. Nur schweben diesen dort jeweils klar definierte Verbindungen vor, während in Rosenheim vorerst einfach niemandem eine hinreichend nachgefragte Linie zwischen zwei Orten einfallen wollte. Dazu sind offenbar nicht nur ihre Republikaner, sondern auch die Rosenheimer selber zu ziellos unterwegs.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2019
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