Mitten in Rosenheim:Der DGB und die neue Arbeiterklasse

Tausende Arbeiterinnen haben sich jetzt der Gewerkschaft in Rosenheim angeschlossen. Aber von einer 35-Stunden-Woche haben sie noch nie was gehört. Geschweige denn von einem Betriebsrat. Willkommen sind sie trotzdem

Glosse von Matthias Köpf

Unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbunds haben ja immer schon viele Platz: Die Chemiewerker und die Lehrer, die Bauarbeiterinnen und Busfahrer, die Gärtnerinnen und die Brieftragenden, die Frauen und Männer von der Käsetheke ebenso wie die von den Wurstwaren, die Versicherungsmathematikerinnen und die Drucker sowie die Eisenbahner Deutschlands. Allein in Stadt und Landkreis Rosenheim vertritt der DGB rund 12 000 Mitglieder, aber mit einem Zuwachs wie zuletzt war dort wirklich nicht mehr zu rechnen. Unter den Neuen sind einige, die im weitesten Sinne dem Militärberuf nachgehen, dazu viele Kinderpflegerinnen sowie zahlreiche Mitarbeiterinnen aus dem Lebensmittel- und dem Transportgewerbe, aber wieder kein Lokführer. Außerdem füllen diese ganzen Bienen vielleicht Waben, aber sicher keinen Mitgliedsantrag aus.

Dabei wäre es für den Rosenheimer DGB schon erfrischend, mal wieder ein paar Tausend echte Arbeiterinnen in seinen Reihen zu haben. Andererseits wären Bienen wohl auch keine ganz vorbildlichen Mitglieder. Fleißig sind sie ja angeblich. Aber fleißig könnte man auch gut in einer 35-Stunden-Woche sein, und die gibt es bei den Bienen bisher ebenso wenig wie betriebliche Mitbestimmung. Im Stock eine Betriebsratswahl oder auch nur eine Betriebsversammlung durchzusetzen, wird auch dem DGB kaum gelingen - von ein paar Posten im Aufsichtsrat mal ganz zu schweigen. All das würde in dem Fall nicht mal am Vorstand scheitern, obwohl da weder ein alter Patriarch das Sagen hat noch so ein demonstrativ krawattenloser CEO, sondern eine Chefin. Die ist aber bestenfalls scheinselbstständig, kennt selber nichts anderes als Arbeit und legt Eier wie eine Maschine.

Vielleicht fehlt es bei den Bienen aus gewerkschaftlicher Sicht sogar am ganz Grundsätzlichen, nämlich an der Solidarität - zumindest falls diese mehr sein sollte als ein bloßes biologisches Programm. Zur Einweihung der neuen, als Beitrag zu Klimaschutz und Artenvielfalt gedachten Bienenkästen am Rosenheimer Gewerkschaftshaus gab es trotzdem einen Vortrag mit dem Titel "Biene und Gewerkschaft - Zusammenleben in Solidarität". Aber vielleicht verzichtet jetzt ja wenigstens der DGB in Rosenheim auf die Ausbeutung seiner neuen Arbeiterklasse.

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