Süddeutsche Zeitung

Mitten in Nürnberg:Zurück in der Klassik

Wagner, Karajan, London Philharmonic Orchestra - goldene Zeiten für die Musik in der Stadt. Und jetzt? Joana Mallwitz. Hoffentlich lässt der neue Konzertsaal nicht zu lange auf sich warten

Kolumne von Olaf Przybilla

Es gibt Abende, die in der Lage sind, die geistige Verfasstheit einer Stadt zu ändern. Das Brahms-Konzert von Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz und den Nürnberger Staatsphilharmonikern war so ein Abend. Die Halle glich einem Irrenhaus, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum. Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Und so weiter.

Nein, stimmt natürlich, so war das am 13. Januar 1782 in Mannheim, als Schiller ins Licht der Dramenwelt getreten ist. Aber es ist gewiss kein Zufall, dass einem dieser Abend in den Sinn kommt, wenn man über den 20. September 2019 nachdenkt. Um das verstehen zu können, wird man ein bisschen ausholen müssen.

1835 kommt ein Mann nach Nürnberg, auf der Suche nach einem Genius loci. Er hört auf den Namen Richard Wagner. Dass die Partitur der Meistersinger im Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt wird, ist alles andere als Zufall. Die Stadt war auf dem Weg, Metropole klassischer Musik zu werden. Bis in die Siebzigerjahre kamen Karajan und das London Philharmonic Orchestra nach Nürnberg.

Später indes brach das ab. Die Meistersingerhalle ist ein Denkmal, keine Frage, für klassische Konzerte aber eignet sie sich kaum. Als ein Zentrum klassischer Musik verlor die Stadt ihren Namen.

Und nun? Im vergangenen Jahr ist es Staatsintendant Jens-Daniel Herzog gelungen, die damals 32 Jahre alte Joana Mallwitz nach Nürnberg zu locken. Nur ein Jahr später ist Mallwitz nun zur Dirigentin des Jahres erkoren worden, vor Kirill Petrenko, vor Christian Thielemann. Von einer Sensation ist oft genug unsinnigerweise die Rede. Aber diese Entwicklung binnen eines Jahres - ist genau das.

Nach dem Konzert erklomm am Freitagabend Nürnbergs Kulturreferentin Julia Lehner die Bühne. Sie kenne Städte, sagte sie, "160 Kilometer weiter südlich", wo "sie denken, solche Titel gehören an andere Stellen". Sie erntete - für fränkische Verhältnisse - frenetischen Jubel. Nun aber beginnt die Zeit des Bangens in Nürnberg. In etwa fünf Jahren soll der neue Konzertsaal eröffnet werden. Ob die Frau am Pult, die so ziemlich jedes Kriterium erfüllt, um ein Weltstar werden zu können, dann noch in der Stadt ist?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4610847
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.