Mitten in Nürnberg:Die Macht der Bilder

Welche planerischen Verbrechen so manche Stadt begeht, wird oft erst klar, wenn man Fotos aus alten Zeiten sieht. Deshalb wäre es umso ratsamer, in der Gegenwart entsprechend weitsichtig zu handeln

Kolumne von Olaf Przybilla

In Nürnberg macht dieser Tage ein Foto aus dem Stadtarchiv die Runde, bei dem man sich nur die Augen reiben kann. Es stammt aus den Siebzigerjahren und zeigt, wie eine Menge Schulkinder - offenkundig ohne nennenswerte Sicherheitsvorkehrungen - den Schießübungen eines Polizisten beiwohnt. Die Kinder machen große Augen zum Tag der offenen Polizeitür und angesichts des nicht wirklich vorhandenen Abstands zwischen dem Mann mit der Waffe und den zartgesichtigen Schülern aus einer offenkundig unteren Klasse ist man geneigt zu fragen, warum man eines der Kinder dem Beamten nicht gleich auf den Schoß gesetzt hat: "Da schau Bub, und jetzt entsichere ich und ballere..."

Ja, Fotos aus vergangenen Tagen fördern mitunter Dinge zutage, die dem vernunftbegabten Betrachter das Haupthaar zu Berge stehen lassen. Bei allzu heftigem Kopfschütteln ist freilich anzuraten, einmal innezuhalten und sich zu fragen, ob im Jahr 2020 nicht womöglich auch Fotos entstehen könnten, die folgenden Generationen die Frage in den Kopf zwingt, ob die damals eigentlich noch alle Gurken im Glas hatten. Und womöglich müsste man für solche Fotos einfach nur die Augen ein wenig aufmachen und ein paar öffentliche Plätze fotografieren.

In Würzburg etwa dürften Bilder, die dokumentieren, wie der Residenzplatz - der große Platz vor dem Weltkulturerbe - einst als gigantisch entstellter Parkplatz vergewaltigt wurde, in nicht allzu ferner Zeit zur Frage führen, ob die damals vielleicht zu viele Schoppen im Kopf hatten. Heute aber? Kümmert sich da noch keiner drum. Der war halt irgendwie immer schon so, dieser Weltkulturparkplatz.

Irgendwie immer schon so sieht's auch am Nürnberger Egidienplatz aus. Aus dieser ebenso sanft ansteigenden wie zentralen Nürnberger Piazza könnte man ein Siena in nuce machen, dieser Flecken wäre einer der malerischsten und lebenswertesten in Süddeutschland. Tatsächlich ist er einer der ödesten und deprimierendsten, ein exemplarischer Kotau der Stadtplanung vor dem Anwohnerparkplatz. Dieser Ort hat nichts - außer Blech.

An diesem Platz hat übrigens mal Hegel gewirkt, der Weltphilosoph. Der feiert dieses Jahr 250. Geburtstag. Bleibt zu hoffen, dass die Nachwelt das nicht auch noch einbezieht ins vernichtende Urteil.

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