Mitten in Erlangen:Die nicht grünen Urgrünen

Erlangen ist nicht immer ganz vorne dran unter den deutschen Großstädten, nicht einmal unter den bayerischen. Aber einmal schon, nur haben sie das sogar in Erlangen selbst vergessen

Kolumne von Olaf Przybilla

Erlangen ist keine Stadt der Superlative. Es lässt sich da sehr passabel studieren, mit allem aber, was irgendwie nach Exzellenz klingt, hatten die Erlanger kaum je etwas am Hut. Angenehm lebt man auch so in dieser kleinsten Großstadt Bayerns; und dass die Häuser dort alle mindestens um ein Stockwerk zu niedrig ausfallen für eine, nun ja, echte Großstadt, daran gewöhnt man sich auch irgendwann. Was soll's denn?

Stopp, mindestens einmal war die Stadt eben doch vorne dran in Deutschland, geistige Avantgarde sozusagen, und das wird selbst in Erlangen gerne vergessen. 1978, die Grünen waren auf Bundesebene noch nicht mal gegründet, da zogen sie in Erlangen schon in den Stadtrat ein. Wobei, darauf legt Wolfgang Lederer-Kanawin dann schon gesteigerten Wert, es waren eben nicht die Grünen in ihrer heutigen, parlamentskompatiblen Form. Es war die "Grüne Liste", eine schräge Brigade aus 26 Weltveralberern, Alternativ- und Lustigmenschen, Frankengrantlern, Kapitalagnostikern, soziologie- und humoraffinen Biertrinkern und friedensfundamentalen Schäufeleessern, eine in sich konsistente Politcombo also, der es in erster Linie mal um eines ging: um alles.

Warum gerade 26? Weil man den Erlangern die Möglichkeit geben wollte, mehrheitlich grün zu wählen. Das funktionierte fast, einer von 50 Stadträten war am Ende grün. Der durfte nur ein Jahr im Stadtrat bleiben, danach durfte der nächste ran. Das geht zwar kommunalrechtlich so nicht, Listenrotationen sind nicht vorgesehen. Den Erlanger Urgrünen aber war das wurscht. Wer die Welt im Blick hat und zu retten sich bereithält, den interessieren kommunale Kleinkariertheiten am Rande. Nach zwölf Monaten machte der Mediziner Lederer für den Chemiker Peter Pluschke Platz. Und der Stadtrat hatte es zur Kenntnis zu nehmen.

Ja, man hatte Spaß, Ex-Stadtrat Lederer würde das nie in Abrede stellen. Die Welt aber unter besonderer Berücksichtigung Erlangens etwas besser gemacht, doch, das habe man schon auch. Ein verstörendes Siemensgroßprojekt? Verhindert! Abriss von Altstadthäusern? Die stehen heute noch. Da sei man schon stolz drauf, sagt Lederer. Bei den Partei-Grünen eingetreten ist er übrigens nie. Nicht sein Ding, sagt Deutschlands erster grüner Großstadt-Stadtrat, 40 Jahre danach.

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