Mitten in Bayern:Vom großen Glück, alles zu dürfen

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Seit einer gefühlten Ewigkeit wird das Leben wegen Corona von Verboten dominiert. Außer man geht zum Arzt

Glosse von Dietrich Mittler

Die Corona-Pandemie - wenn sie denn endlich Vergangenheit ist - wird bei vielen Menschen eingehen als ein Ereignis, das mit Verboten und Einschränkungen verbunden war. Keine Partys, kein Kino, kein Fitness-Studio, keine großen Familientreffen. Stattdessen Maskenzwang und Testpflicht. Zweifellos, diese Maßnahmen waren alle auf das eine Ziel ausgerichtet, den gefährlichen Erreger Sars-CoV-2 zu bekämpfen. Und doch, mit jedem Tag wuchs die Sehnsucht, endlich mal wieder etwas tun zu dürfen - und nicht zu müssen.

Ein Griff tief hinein in die deutsche Literatur zeigt indes, dass das Freiheits-Problem nicht allein unter dem Corona-Aspekt zu sehen ist. Siehe Schiller: "Ach, umsonst auf allen Länderkarten / Spähst du nach dem seligen Gebiet, / Wo der Freiheit ewig grüner Garten, / Wo der Menschheit schöne Jugend blüht." Und weiter: "In des Herzens heilig stille Räume / Musst du fliehen aus des Lebens Drang. / Freiheit ist nur in dem Raum der Träume, / Und das Schöne blüht nur im Gesang."

Diese Zeilen zeigen, dass Schiller offenbar eine pessimistische Phase durchlief, in die sich Leser keinesfalls reinziehen lassen sollten. Denn den Raum der Träume gibt es in unserem heutigen Leben auch im Realen - trotz Corona und anderer Widrigkeiten. Und wer es noch nicht bemerkt hat: Es handelt sich dabei um die bayerischen Arztpraxen. Dort im speziellen um jene Persönlichkeiten, die den Ärztinnen und Ärzten bei ihrer Arbeit unverzichtbar zur Seite stehen. Aus ihrem Mund kommen vielfach Worte, die in Zeiten der auferlegten Restriktion wie ein Befreiungsschlag wirken: "Sie dürfen ..."

Ja, es ist unglaublich, was Bürgerinnen und Bürger alles dürfen, sobald sie erst einmal eine Praxis betreten haben. "Sie dürfen im Wartezimmer Platz nehmen." - "Sie dürfen für die Urinprobe zur Toilette gehen." Oder bei Zahnärzten: "Sie dürfen noch mal den Mund ausspülen, bevor Frau Doktor kommt." Unfassbar, so viel Freiheit, dicht gedrängt auf ein paar Quadratmetern Praxis. "Bitte nehmen Sie Platz im Wartezimmer", das wäre doch einfach zu profan. Wo bleibt da das Erhabene, das Majestätische, das nur im Augenblick der Freiheit sichtbar wird? Mit jener noch zu lösenden Frage findet diese Glosse ihr Ende. Sie dürfen sich nun anderen Beiträgen zuwenden.

© SZ vom 15.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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