Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bayern:Viele kleine Höllenqualen

Lesezeit: 1 min

Eine Zugfahrt kann recht abwechslungsreich sein. Und das nicht nur wegen der vorbeiziehenden Landschaft

Kolumne von Uwe Ritzer

Der Pfarrer von Schwabach warnte die Gläubigen. "Die Eisenbahn kommt aus der Hölle und jeder, der mit ihr fährt, kommt geradezu in die Hölle hinein", predigte er Anno Domini 1835, als sich in Nürnberg der erste Dampfzug anschickte, nach Fürth zu fahren. Dass Eisenbahnen Höllenfahrzeuge sind, blieb seither theologisch unbewiesen; tatsächlich kann der moderne Schienenverkehr aber viele kleine Höllenqualen zu einer großen subsumieren.

Das beginnt mit dem Regionalexpress, der wegen einer "technischen Störung" 20 Minuten zu spät kommt, weshalb man in Nürnberg den ICE nach Duisburg gerade noch erreicht. In dem herrscht Chaos, denn das elektronische Reservierungssystem ist ausgefallen und auch alle anderen Digitalanzeigen. Der Regionalexpress, der einen weiter zum eigentlichen Ziel bringen soll, fährt in Duisburg pünktlich ab, bleibt aber nach zehn Minuten auf offener Strecke stehen. Eine Weiche sei kaputt, heißt es nach längerer, kontemplativer Stille. Man stoße zurück nach Duisburg und nehme eine andere Strecke. Weil auf der vor dem Regionalzug ein noch langsamerer Zug fährt, bedeutet das diverse Zwischenstopps und am Ende eine halbe Stunde Verspätung.

Auf der Rückfahrt geht es nach Duisburg sicherheitshalber mit dem Auto. Eine kluge Entscheidung, denn der eigentlich gebuchte Regionalzug hat Verspätung und der ICE nach Nürnberg wäre nur über einen ambitionierten Sprint möglich, was für die 85-jährige Oma eine Herausforderung gewesen wäre. Am ICE sind die Wagennummern falsch und wieder alle Reservierungs- und Digitalanzeigen ausgefallen. Der Zugführer sagt, es täte ihm leid, aber es seien auch Sitzplatzreservierungen in einem Zugteil verkauft worden, das es gar nicht gibt. Zwischendurch meldet er sich erneut: Das Kinderspielzeug ist alle. Im Bordbistro hat die Kaffeemaschine den Geist aufgegeben. Als der Zug Aschaffenburg erreicht, zeigt die wiedererwachte Digitalanzeige Bochum als nächsten Halt an. Kurz vor Nürnberg wird die Einfahrt in Aschaffenburg gemeldet. Der Regionalzug von Nürnberg nach Hause endet statt in München in Rohrbach. Unterwegs hält er mehrfach außerplanmäßig, um andere Züge überholen zu lassen. An der Zugtoilette hängt ein Aufkleber: "WC defekt - out of order".

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SZ vom 14.01.2020
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