Oberfranken:Ehrt Wunsiedel einen Mörder?

Zuerst diskutierte die Stadt in Oberfranken über ihre Hindenburg-Straße. Doch weil eine Straße nach Karl Sand benannt ist, reagiert ein Historiker mit ungewöhnlicher Vehemenz.

Kolumne von Olaf Przybilla

Wird in Bayern über Straßennamen debattiert, so geht es fast immer um Militarismus oder Rassismus. Auch in Wunsiedel war der Anlass für eine neue Debatte zunächst ein altbekannter: Hinterfragt wurde die Rolle Hindenburgs. Nun aber hat sich der Diskurs wegbewegt vom früheren Reichspräsidenten - hin zu einer Figur, die den Reigen üblicher Straßennamen-Debatten um seltene Aspekte erweitert.

Ausgelöst hat die Diskussion der Geschichtsprofessor Hermann Hiery, der im Gespräch mit der Frankenpost - es ging eigentlich um Hindenburg - beiläufig eine ganz andere Straße in Wunsiedel in Zweifel gezogen hat. Und das für einen Historiker mit ungewöhnlicher Vehemenz. Weil dort eine Straße nach Karl Sand benannt ist, folgerte Hiery: "Wunsiedel huldigt also einem Mörder - und das wird in keiner Weise hinterfragt."

Zumindest das hat sich seither geändert. Was man begrüßen muss, immerhin darf der Fall als besonders diskussionsbedürftig gelten. Vom Spiegel wurde der Student Sand mal als "einer der ersten deutschen Selbstmordattentäter" tituliert. Das lässt Bilder im Kopf entstehen, die nicht so ganz den Kern der Sache treffen. Ganz falsch aber ist es nicht: Tatsächlich gäbe es Gründe, den 1795 geborenen Sand einen radikalisierten Attentäter zu nennen.

Er ging in Wunsiedel und Hof zur Schule, studierte in Erlangen, wurde Burschenschaftler, schwärmte für Schillers "Tell" und wusste sich für revolutionäre Gedanken zu erwärmen. Von Kommilitonen wurde Sands Auffassungsgabe als eher mäßig beschrieben, aber das soll es ja geben bei Revolutionären (und sogar Burschenschaftlern).

Jedenfalls erdolchte der freie Radikale Sand 1819 den Schriftsteller Kotzebue, der auch von mäßigem Talent war, und sich - das war wohl eher der Grund - herausgenommen hatte, Studentenbünde als Brutstätten des Liberalismus zu kritisieren. Nach der Tat stieß sich Sand einen Dolch in die Brust, sein Selbstmordversuch aber scheiterte, 1820 wurde er als Mörder zum Tod verurteilt.

So einen als "Freiheitskämpfer" feiern und mit Straßennamen ehren? In Wunsiedel deutet derzeit wenig auf Änderung. Den Eifer des Historikers Hiery spornt das eher noch an. Er arbeitet gerade am Vortrag "Der Zweck heiligt nicht die Mittel".

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