Mitten in Bayern:Ohne Verlierer kein Ballspiel

Barfuß raus im Winter, das macht heute kein Sportlehrer mehr mit seinen Schülern. Dass nun aber das Völkerballspiel Mobbing sein soll, das geht dann doch manchem zu weit

Kolumne von Hans Kratzer

Abhärtung, Selbstüberwindung, Disziplin, derlei militärische Tugenden galten im Turnunterricht bis in die späten 60er-Jahre als erstrebenswert. Auch der Sportlehrer Otto Lutter unternahm damals einiges, damit die Schüler am Landshuter Hans-Leinberger-Gymnasium keine Weicheier wurden. Im Winter schickte er die Zöglinge regelmäßig ins Freie hinaus, wo sie mehrere Runden auf dem schneebedeckten Sportplatz laufen mussten - allerdings barfuß. Wer jemals das Kribbeln in den Füßen gespürt hat, wenn diese in der Turnhalle wieder auftauten, vergisst dies nie mehr. Manche "Lutteraner" aber setzten diese Läufe im Schnee später freiwillig fort, weil sich dadurch Erkältungen und Missstimmungen jeder Art durchaus vermeiden ließen. Natürlich wurde der Sportunterricht in jener Zeit noch ein wenig vom Krieg her gedacht. Wehrertüchtigung war ja seit den Tagen von Turnvater Jahn ein zentraler Impuls für Leibesübungen in Schule und Verein.

In diesen Kontext passt auch das Völkerballspiel, dessen ursprüngliche Ideale mit den federweichen Erziehungsidealen von heute ebenso unvereinbar sind wie das Barfußlaufen im Schnee. Die Kriegsschlacht ist das ursprüngliche Leitmotiv dieses Spiels, der Ball ist die Angriffswaffe, die Treffer markieren die Gefallenen. Und doch erfreut sich Völkerball nach wie vor großer Beliebtheit, der Ursprung ist ja längst in Vergessenheit geraten.

Nun hat aber eine kanadische Studie Völkerball mit "legalisiertem Mobbing" gleichgesetzt. Das Spiel soll sportschwache Schüler erniedrigen und ausgrenzen, heißt es. Das Netz ist wieder einmal in einen hochgradigen Erregungszustand geraten. Bei bayerischen Sportlehrern, beim Landesschülerrat und beim Turner-Bund ist die Aufregung weitaus geringer. Schließlich ist das Spiel von der Sportpädagogik längst umformatiert worden. Es gibt mittlerweile so viele Variationen, dass sich kein Schüler mehr benachteiligt fühlen muss, es sei denn, sein Sportlehrer eifert noch den Idealen der Wehrmacht nach. Sollten aber im Schulsport demnächst Sieger und Verlierer grundsätzlich abgeschafft werden, dann ist kein Ballspiel mehr möglich. Nicht einmal der geheiligte Fußball, der, streng betrachtet, mehr Verlierer hervorbringt, als es das Völkerballspiel je könnte.

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