Mitten in Bayern:Krach um die "Kerb" von Kahl

Kahl am Main ist geologisch verbrieft der Tiefpunkt von Bayern. Stimmungsmäßig im Tief angelangt sind die Kahler aber erst jetzt, da ihnen die Kirchweih verlustig gehen wird. Zwei Bürger hatten wegen des Lärms der Veranstaltung geklagt

Von Olaf Przybilla

Man muss sich da nichts vormachen, die Kahler sind Kummer gewohnt. Das fängt schon mit dem Namen an: Kahl in Unterfranken, so was bietet den ganz Lustigen dieser Welt einen Hebel für jede noch so unterirdische Gesprächsüberbrückung. Jedenfalls hat das Wort vom Kalauer in Kahl traditionell einen besonderen Klang. Und das umso mehr, weil Kahl am Main als Tiefpunkt von Bayern anerkannt ist, Geologen haben das festgestellt. In einem Land, das in der Welt nicht zuletzt für seine Gebirgspanoramen berühmt ist, muss man das auch mögen.

Weil aber das Schicksal dazu neigt, auf Gerechtigkeit keinen Wert zu legen, hielt die Geschichte für Kahl noch einen kleineren Gag bereit. Es dürfte wohl kaum ein Ort erpicht darauf sein, primär mit Atomkraft in Verbindung gebracht zu werden. In Grafenrheinfeld und Gundremmingen wissen sie, wie das so ist, wenn man auch noch beim Abendessen im Mallorca-Urlaub über Strahlenbelastung referieren soll. Die Kahler aber sind ein Sonderfall: Auch sie wurden ständig für ein Atomdorf gehalten. Weil dort ja vermeintlich das VAK Kahl seine Heimat hatte: Bayerns Versuchsatomkraftwerk. In Wahrheit stand das - inzwischen abgerissene - Ding auf der Gemarkung von Großwelzheim. Nur konnten die Amerikaner Kahl besser aussprechen, und so nahm man für den Namen einfach den Nachbarort, von wo aus das Kraftwerk postalisch bedient wurde: Kahl.

Die Wahrheit ist, dass die Kahler über all dies ihren Humor nie verloren haben. Man spricht dort ein astreines Hessisch, hat den Wald im Rücken (den Spessart) und die Welt vor Augen (Frankfurt), das macht rischdisch loggä. Eigentlich.

Nun aber scheint das Schicksal übertrieben zu haben, es herrscht Unfriede im Ort. Der Grund: Zwei Anwohner finden, dass die Kahler "Kerb", die Kirchweih, irgendwie zu laut ist. Was bedeuten schon Tradition und Brauchtum, wenn man auch dagegen klagen kann? Das Verwaltungsgericht hat den beiden jedenfalls recht gegeben. Weshalb die Kirchweih abgesagt wurde. Er verspüre wenig Lust, sich in Ordnungshaft nehmen zu lassen wegen überschrittener Lärmwerte, sagt einer der Veranstalter. Der Tiefpunkt in Bayern: Die Kahler ahnen gerade, was das eigentlich bedeutet.

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