Mitten in Bayern:Hinter der Thuje

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Es scheint kein Gras über die Sache wachsen zu wollen. Doch seit Kurzem wird der Grabstein für den Nazigeneral Alfred Jodl schamvoll von Dauergrün zum Teil verdeckt

Kolumne von Matthias Köpf

Zumindest hierzulande hat die Thuje als pflegeleichte Friedhofspflanze angefangen, bevor sie in den Siebzigern Karriere als Gartenzaungehölz gemacht hat. Seither verbreiten die Thujenhecken auch in vielen Siedlungen gepflegte Friedhofsatmosphäre und verdecken blickdicht das Grauen leerer Liegestühle. Doch auch als Friedhofspflanze hat die Thuje noch nicht ausgedient. Auf dem Friedhof der Fraueninsel im Chiemsee zum Beispiel gibt es kaum leere Liegeplätze. Dafür grüßt das Grauen in epochalem Ausmaß, und zwar in Form eines Gedenkkreuzes für den Nazigeneral und Kriegsverbrecher Alfred Jodl. Es will kein Gras über die Sache wachsen, doch vor Jodls Namen, Daten und Dienstgrad wächst neuerdings, als ob sie dort immer schon hingehörte, eine Thuje.

Deren Tarnwirkung hängt sehr vom Blickwinkel ab, wogegen andere Dinge keine Frage der Perspektive sind: Das Grabkreuz für Jodl gehört nicht hierher, schon weil die Asche des verurteilten Kriegsverbrechers nach der Hinrichtung in die Isar gestreut wurde. Wirklich begraben liegen hier seine beiden Frauen. Doch ein Neffe einer dieser Frauen will es nicht hinnehmen, dass das Kreuz für den Kriegsverbrecher von der Grabstelle entfernt oder auch nur Jodls Name getilgt wird. Nach jahrelangem Lavieren hatte sich der Gemeinderat auf das Entfernen des Kreuzes festgelegt, nachdem im Januar dieses Jahres das Grabnutzungsrecht ausgelaufen war. Ein Familiengrab ohne Hinweise auf Alfred Jodl wolle man aber weiterhin dulden. Doch das ist dem Neffen nicht genug, er klagt gegen die Anordnung, das Jodl-Kreuz zu beseitigen.

Also ist wieder die Justiz gefordert, diesmal ausnahmsweise ohne Beteiligung des Aktionskünstlers Wolfram Kastner, der sich schon mehrmals vor Zivil- und Strafkammern wegen seiner Interventionen an dem Kreuz verantworten musste. Kastner dürfe auch vor dem Gebrauch einer Heckenschere kaum zurückschrecken, falls er nicht vielleicht sogar seine künstlerischen Mittel ins Ironische verfeinert und die Thuje selbst gepflanzt haben sollte. Juristisch wird die Thuje wenig Wirkung zeigen. Im Oktober will sich die zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts auf der Insel selbst ein Bild von dem Kreuz machen. Falls da Zweifel aufkommen: Es ist das mit der Thuje davor.

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