Mitten in Bayern:Feldkirchen im Rampenlicht

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Ach, wenn die Flüchtlinge in der Gäubodenkaserne bloß wüssten, an welchen geschichtsträchtigen Ort es sie da verschlagen hat. Stichwort: Riesenpizza. Oder: Tschernobyl-Molke

Von Hans Kratzer

Als am Montag auf dem Gelände der Gäubodenkaserne in Feldkirchen die ersten 140 Flüchtlinge angekommen sind, betraten sie einen Flecken Erde, auf dem schon große Geschichte geschrieben wurde - im Guten wie im Schlechten. Zunächst wirkt die nahe Straubing gelegene Gemeinde Feldkirchen keineswegs wie der Nabel der Welt. Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 aber trugen sich hier merkwürdige Dinge zu. Damals rollte ein Güterzug auf das Kasernengelände, dessen Waggons bis oben mit verstrahltem Molkepulver gefüllt waren. Die Welt staunte, als der damalige bayerische Umweltminister Alfred Dick vor laufender Kamera die mit Cäsium 137 belastete Molke aß. "Des tut mir nix!", sagte Dick. Nach seinem Tod behauptete ein ehemaliger Mitarbeiter des Ministeriums, der für seine Schlitzohrigkeit bekannte Minister habe den Mittelfinger ins Molkepulver gesteckt und den Zeigefinger abgeschleckt.

Vor einigen Jahren sorgten die Feldkirchener in der Medienwelt abermals für Furore, indem sie Deutschlands größte Riesenpizza (sechs Meter Durchmesser, 80 Kilo Käse, zehn Kilo Schwammerl, 50 Kilo Tomatensoße) buken und sogleich verzehrten. Der TV-Sender ProSieben flippte schier aus und drehte einen Film über das große Fressen.

Die Popularitätswerte der Bürgermeisterin Barbara Unger stiegen wiederum rasant an, als der Straubinger Landrat bei einem Fest das anzügliche Lied "Auf der Bruck trara, da liegt die Barbara" anstimmen ließ und Frau Unger zum Dirigieren auf die Bühne steigen musste. Andere Feldkirchener wurden freilich von viel schlimmeren Prüfungen heimgesucht. Als die Wehrmacht 1936 in Feldkirchen den Fliegerhorst Mitterharthausen errichtete, wurde dafür der Besitz des jüdischen Viehhändlers Otto Selz beschlagnahmt, Selz wurde von der SA ermordet. Zum Bau der Startbahnen wurden Häftlinge aus den Konzentrationslagern Flossenbürg und Dachau herangezogen und in Arbeitslagern interniert. Welcher Hort der Hoffnung ist dagegen das neue Feldkirchener Zeltlager, in dem 5000 Flüchtlinge aufgenommen werden. Im kleinen Feldkirchen bündeln sich die dunklen und die hellen Seite des Lebens in großer Intensität.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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