Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bayern:Feiern mit den Mauerscheißern

Der Franke kann von einem umwerfenden Liebreiz sein. Vor allem, wenn es darum geht, die Nachbarn mit Kosenamen zu bedenken. Daraus ergibt sich eine skurrile Debatte über geplante Festivitäten in Forchheim

Kolumne von Olaf Przybilla

Der Franke zeichnet sich durch flagranten Charme und handgreifliche Gutlaunigkeit aus und so ist's kein Wunder, dass er auch gegen seinesgleichen mit gezieltem Liebreiz vorgeht. In Franken gibt es Dörfer, die Mitfranken aus dem Nachbarort als Eulnböck, Gänswürcher, Haberochsen umkosen. Als Meebrunser (Mensch, der sein Wasser in den großen fränkischen Fluss abschlägt) müssen sich Bewohner mehrerer Ortschaften umgarnen lassen. Und es geht noch charmanter: Es gibt auch Mauerscheißer.

Damit nach Forchheim, das dem Bildungsbürger als historische Kaiserpfalz ein Begriff ist. Dass Forchheim in Oberfranken liegt, ist manchem weniger geläufig, denn irgendwie wirkt diese Stadt immer wie ein kopfsteingepflasterter Vorort der mittelfränkischen Unistadt Erlangen: alles aufgeräumt, hübsch anzuschauen, übern Frankenschnellweg erreichbar und von Siemens geprägt. Teil der Metropolregion Nürnberg ist man eh. Und trotzdem: Forchheim liegt in Oberfranken.

Wollte jemand eine klassische oberfränkische Abwanderungs-Geschichte von dort schreiben, er müsste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Den Forchheimern geht's gut, von Flucht keine Spur. Aber wie das so ist beim Menschen: Geht's ihm zu gut, dann findet sich schon was. Und so zoffen sich die Forchheimer seit Wochen um die Frage, ob man sich weiterhin vor allem mit der Kaiserpfalz brüsten will - oder auch mit einem geschmeidigen Mauerscheißer-Fest.

Dass sich die Forchheimer als solche schon liebkosen lassen mussten, soll belegt sein. Auch wird unterstellt, dass es dabei angeblich um eine ortsspezifische Art ging, sich gegen Belagerer mit geeignetem Material zur Wehr zu setzen und ungebrochene Verdauungstätigkeit unter Beweis zu stellen. Warum also aus der menschlichen Notdurft keine erneute Tugend machen? Die andere Seite erwidert, man wünschte sich marketingmäßig Zielgenaueres als eine Fäkalienfestivität.

Überhaupt: Müsste es heute nicht Mauerscheißer- und Mauerscheißerinnen-Fest heißen? Schließlich wurde der weibliche Anteil an der Wehrhaftigkeit traditionell schändlich unterschlagen. Wie auch immer: Sollte der Kosenamen für Forchheimer in Vergessenheit zu geraten drohen bei geneigten Mitfranken - so dürfte das künftig nicht mehr der Fall sein.

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Quelle:
SZ vom 10.01.2019
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