Mitten in Bayern:Erst Bimmel, jetzt Bammel

Der Glockenturm der evangelischen Dreieinigkeitskirche in Plattling ist eine unglückliche Konstruktion, sagt die Pfarrerin. Pfusch wäre wohl präziser

Von Johann Osel

Über die Beliebtheit von Schiller-Gedichten im Plattling der späten Zwanzigerjahre ist nichts Näheres bekannt. Fest steht nur, dass "Das Lied von der Glocke" einigen Zeitgenossen als Lektüre nicht geschadet hätte. Darin findet man ja die klare Handlungsanweisung, sich viel Mühe zu geben und Akkuratesse walten zu lassen, wann immer es um Glocken geht. "Von der Stirne heiß / Rinnen muß der Schweiß", heißt es. Sowie: "Den schlechten Mann muss man verachten, / Der nie bedacht, was er vollbringt." In der Gäuboden-Stadt sieht man just, dass vor gut 90 Jahren womöglich Schweiß geronnen sein mag, aber offenbar nicht bedacht wurde, was genau man vollbrachte. Beim Bau des Glockenturms der evangelischen Dreieinigkeitskirche gab es: Pfusch. Oder, wie Pfarrerin Karolin Gerleigner es diplomatischer nennt: eine unglückliche Konstruktion.

Schon länger herrschte Sorge: Technik, Motor und Zahnräder für die große Glocke könnten bald den Geist aufgeben. Ein Glockensachverständiger wurde alarmiert, jüngst kam noch ein Statiker hinzu, weil man die Risse im Mauerwerk kaum übersehen konnte. Dieser Experte entdeckte dann wiederum, dass der Turm eine Art Fehlkonstruktion ist. Beim Bau habe man den Glockenstuhl nicht aufs Mauerwerk gesetzt, wie gängige Methode - sondern mit den Balken darin verschraubt. Die Schwingungen fahren dem Turm daher arg ins Gestein, Einsturzgefahr besteht jedoch nicht.

Auf detektivischen Eifer zum historischen Murks verzichtet die Gemeinde, nächstenliebend-vergebend. Die Pfarrerin denkt lieber an die Zukunft: Ein neuer Glockenstuhl soll her, neue Technik, wohl statische Korrekturen; das alles unter Denkmalschutz. Statt Bimmel gibt es jetzt ein bisschen Bammel angesichts der Kosten. Genaueres wird ein weiteres Gutachten zeigen. Was sicher ist: Geld gilt es aufzutreiben, vielleicht Spenden, die Pfarrerin ist mit Blick auf die "tolle Gemeinschaft in dieser schönen Stadt" ganz zuversichtlich. Einigen Bürgern soll auch schon negativ aufgefallen sein, dass da nichts mehr läutet immer um 7, 12 und 19 Uhr. Zumindest diese dürften schon mal spendabel sein. Und die Plattlinger Zeitung berichtet nahezu poetisch über das "Schweigen" der Glocke. Sicher war hier ein Schiller-Freund am Werk.

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