Süddeutsche Zeitung

Mitten in Bayern:Der Volksmund spricht denglisch

Die Corona-Krise hat längst die Sprache erfasst, bekämpft wird das Virus nämlich am liebsten auf englisch. Dabei weiß nicht jeder, was er da eigentlich sagt

Kolumne von Hans Kratzer

Shit happens, sagt der Volksmund in Zeiten der Krise. Man könnte auf Deutsch auch "dumm gelaufen" sagen, doch leider sind derlei Redensarten beim Anglizismus-narrischen Volk der Dichter und Denker als uncool verschrien. Kurzum, auch die deutsche Sprache leidet unter Corona. Vor allem mangelt es den Bescheidwissern in der aktuellen Notlage oft an sprachlicher Klarheit. Verloren sind jedenfalls jene, die das Englische nicht beherrschen oder zumindest das, was die Deutschen dafür halten, die ja ausnahmslos glauben, das Public Viewing habe etwas mit dem Fußball zu tun. Dabei verwenden Amerikaner und Briten diesen ins Deutsche einverleibten Begriff für die Leichenschau.

Die Politik bekämpft die Krise trotzdem mit Vorliebe auf Englisch. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte schon früh angekündigt, die Essensversorgung werde über "to go" und über "drive in" erfolgen. Also musste die Gastronomie "To-go-Konzepte" entwerfen und auf "Take-away-Angebote" und "Drive-ins" umsteigen. Fortan war das englische Verb to go allgegenwärtig. Zuletzt hat Söder mit Blick auf die Fußball-Bundesliga angemerkt, letztlich müsse das Robert-Koch-Institut sein Go geben.

Das Go der Staatsregierung hat auch das Home-Office erhalten, das vermutlich so heißt, weil das Heimatministerium verschlafen hat, ein regionaltypisches Wort dafür zu erfinden. Home-Office klingt natürlich mächtig international, nur versteht ein Engländer unter dem Homeoffice eher das Innenministerium.

Auch das Homeschooling findet in der Sprache der Politik fröhliche Verwendung, obwohl es vom Ergebnis her eine ziemliche Pleite benennt. Etwas stringenter wirkt das Auftreten der Doormen, die vor den Eingängen von Supermärkten und Baumärkten gut aufpassen, dass die Kunden die Abstands- und Hygieneregeln einhalten. Früher sagte man zu solchen Funktionsträgern Türsteher, aber das erinnert vermutlich zu sehr an die gleichnamige Spezies, die allerliebst den Einlass in Nachtlokale regelt. In der englischen Sprachwelt ist der Doorman ein vornehmer Portier. Stünde solches Personal "very british" vor unseren Baumärkten, wäre man als Kunde wohl geneigt, zu einem Anglizismus zu greifen: "I think i spider!" - "ich glaub ich spinne!"

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4898869
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.05.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.