Seenotretter:"Das war eine völlig menschenunwürdige und unhaltbare Situation"

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Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher informierte sich an Bord der "Eleonore" über die Seenotrettung. (Foto: Privat)

Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher erlebte den Alltag privater Seenotretter an Bord der "Eleonore" - und zeigt sich geschockt.

Interview von Helena Ott, München

104 Flüchtlinge an Bord, acht Tage auf hoher See und schließlich noch ein Sturm - dennoch stoppte die italienische Regierung das private Rettungsschiff

Eleonore vor der Küste Siziliens. Mit an Bord: Landtagsvizepräsident Markus Rinderspacher (SPD). Er hatte Kapitän Claus Peter Reisch aus Landsberg am Lech bei der Verleihung des Europa-Preises der SPD-Landtagsfraktion im vergangenen Jahr kennengelernt. Reisch hat ihn daraufhin auf die Eleonore eingeladen.

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SZ: Herr Rinderspacher, wie war es an Bord des Rettungsschiffs?

Markus Rinderspacher: Das war eine völlig menschenunwürdige und unhaltbare Situation. Die 104 Flüchtlinge mussten mit angewinkelten Beinen auf dem Deck sitzen. Das Sportboot ist gerade einmal 20 Meter lang. Die Passagiere und auch die Crew waren total ausgelaugt und erschöpft. Sie mussten sich an Bord mehr als eine Woche eine Hocktoilette teilen.

Woher kamen die Menschen?

Die meisten kamen aus dem Sudan und Südsudan. Die Crew hatte sie von einem sinkenden Schlauchboot, das in mehreren Kammern Luft verloren hat, vor dem sicheren Ertrinken gerettet. Es waren auch Bürgerkriegsflüchtlinge dabei, die Ärzte mussten ihre Schusswunden versorgen. Andere haben uns Narben von Misshandlung und Folter in den libyschen Gefängnissen gezeigt.

In der Nacht von Sonntag auf Montag geriet die Eleonore in einen Sturm ...

Es gab auf hoher See ein Sturmgewitter, die Wellen sind meterhoch über das Deck geschwappt. Es konnten nicht alle im Schiffsinneren untergebracht werden, die Leute waren völlig durchnässt. Viele wurden seekrank und mussten erbrechen.

Was hat der Kapitän Claus Peter Reisch unternommen?

Er hat den Notstand an Bord an die italienische Küstenwache durchgestellt und gemeldet, dass seine Passagiere in Lebensgefahr sind. Deshalb war es auch richtig von ihm, den nächsten Hafen anzusteuern. Zuerst haben sich die italienischen Behörden beharrlich geweigert und ihn mit scharfen Worten aufgefordert, das Boot zu stoppen. Reisch hat sich am Ende durchsetzen können und wir sind im Hafen von Pazzallo eingelaufen.

Was ist mit den Geflüchteten geschehen?

Sie wurden in Sizilien registriert und in das 200 Meter entfernte Flüchtlingscamp gebracht. Die Bundesrepublik hat sich bereit erklärt, für knapp die Hälfte das Asylverfahren zu übernehmen.

Immer wieder gibt es bedrückende Bilder von Rettungsschiffen, warum unternimmt Europa so lange nichts?

Europa zeigt sich nicht nur kaltherzig, sondern erklärt auch den humanitären Bankrott. Das Mittelmeer ist die tödlichste Seefluchtroute der Erde. Allein 2018 kamen hier fast 3000 Menschen ums Leben. Wir brauchen endlich eine staatliche Seenotrettung statt private Seenotrettung weiter zu kriminalisieren und auf unwürdige Art ihre Arbeit zu behindern.

© SZ vom 04.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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