Faszination Mittelaltermarkt:"Es bietet eine Art Fantasiewelt, in die man abtauchen kann"

Lesezeit: 2 Min.

Mittelaltermärkte, wie hier in Moosburg, sind ein beliebtes Ausflugsziel. (Foto: Marco Einfeldt)

Mittelaltermärkte boomen in ganz Bayern. Für den Bamberger Forscher Detlef Goller sind sie vor allem Inszenierung - und kein Abbild der Realität.

Interview von Claudia Henzler, Bamberg

Mit dem Frühling hat die Hochsaison der Mittelaltermärkte begonnen. Zeit für ein Gespräch mit Detlef Goller vom Zentrum für Mittelalterstudien an der Universität Bamberg. Dort erforschen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen nicht nur Kultur und Gesellschaft des Mittelalters, sondern gehen auch der Frage nach, wie das mittelalterliche Leben heute dargestellt wird.

Herr Goller, Sie gehen doch bestimmt gerne auf Mittelaltermärkte?

Nein, ich meide sie eher, weil es mir selten gelingt, den Fachblick auszuschalten.

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Was würde Ihnen denn ins Auge fallen?

Wenn da zum Beispiel jemand auf dem Markt steht und Schwerter schlägt, muss er sich mit den heutigen Sicherheitsbestimmungen und Brandschutz befassen. Oder dass jemand Gewänder aus Baumwolle verkauft und Besucher mit "Seid gegrüßt, edler Recke" und "edle Maid" anspricht: Das alles wird im Mittelalter nicht so gewesen sein. Mittelhochdeutsch - und selbst das ist allein durch die erhaltenen Texte schwer zu rekonstruieren - war ganz anders. Niemand kann heute fließend Mittelhochdeutsch sprechen.

Es stören Sie also mehr die Details als die Gesamtinszenierung?

Halt, mich stört überhaupt nichts an den Mittelaltermärkten! Sie haben ihre Berechtigung. Wenn eine Familie Spaß an diesen Märkten hat, dort Met trinken will und sagt, das ist für mich Mittelalter, dann ist das völlig okay. Besucher bekommen dort, wie Sie schon sagen, eine Inszenierung und sie gehen ja mit diesem Erwartungshorizont dorthin. Und oft sind die Märkte ein Anlass, einen historischen Ort zu entdecken.

Sie kritisieren aber, dass das Mittelalter insgesamt entweder besonders finster oder aber völlig romantisiert dargestellt wird.

Ja, allein wenn man sich anschaut, dass Mittelaltergaststätten zwei Arten von Essen anbieten. Einmal diese "Halli-Galli-Drecksau"-Gelage, wo man Rülpsen darf und Knochen durch die Gegend werfen - auf der anderen Seite wird die sogenannte höfische Kultur betont, die schon um 1200 herum Benimmregeln formuliert hat. Der Clou ist dann: Wenn jemand dagegen verstößt, muss er an den Pranger oder bekommt keinen Nachtisch.

Und wie war es wirklich?

Die Wahrheit liegt wie immer dazwischen. Wir haben wenig hartes Wissen über das Leben damals. Die Wissenschaft kann sich da nur annähern. Aber es ist durchaus so, dass im Mittelalter viele Grundlagen unseres heutigen Verständnisses von Hygiene, Medizin, dem zwischenmenschlichen Umgang und von Kultur gelegt wurden.

Es gibt deutlich weniger Veranstaltungen, bei denen Barock oder die Biedermeierzeit nachgestellt werden. Können Sie sich die Faszination fürs Mittelalter erklären?

Klar. Es ist weit weg und bietet eine Art Fantasiewelt, in die man abtauchen kann. Wo es leichter wird, die Bindungen zum Hier und Jetzt zu kappen. Da stören die Baumwollgewänder dann auch nicht. Hinzu kommt wohl der Reiz, dass es gleichzeitig so andersartig ist und doch so ähnlich.

Und was fasziniert Sie persönlich an der Zeit zwischen 500 und 1500?

Meine Leidenschaft gilt der Literatur. Es ist das Schönste, Klügste und Beste, was es auf der Welt gibt. Der Minnesang, Tristan und Isolde, Parzival oder das Nibelungenlied - so tolle Geschichten müssen erst mal geschrieben werden.

Hätten Sie gerne im Mittelalter gelebt?

Auf keinen Fall. Da muss ich nur dran denken, dass ich vor zwei Wochen eine Wurzelbehandlung hatte.

© SZ vom 13.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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