Misshandlung in Knabenchor:Von Stöcken und Peitschen

Vorwürfe gegen den Gründer des Windsbacher Knabenchores und einen früheren Internatsleiter. In dem von der evangelischen Kirche mitfinanzierten Chor sollen Jungen misshandelt worden sein.

O. Przybilla

An diesem Donnerstag wird der Windsbacher Knabenchor von einer Tournee durch Spanien zurückkehren. In Madrid sind die Sängerknaben aufgetreten, auch im großen Palau de la Música Catalana in Barcelona. Bachs Kantate 27 haben sie dort vorgetragen, "Wer weiß, wie nahe mir mein Ende". Für die Windsbacher sind solche Auftritte normal, man ist berühmt für Interpretationen protestantischer Kirchenmusik. Wenige Stunden nach der Rückkehr aber wird den Chor seine nicht nur rühmliche Vergangenheit einholen. Am Freitag will sich die Internatsleitung Vorwürfen stellen, die ehemalige Windsbacher gegen einen ehemaligen Leiter der Einrichtung erheben - und gegen den Gründungsvater des Knabenchores, Hans Thamm.

Die Vorwürfe wiegen schwer. In zwei Briefen eines früheren Windsbachers wird dem ehemaligen Offizier Thamm vorgeworfen, er habe einen Buben, der während eines Konzerts in der Nürnberger Kirche St. Lorenz den Ton einer Motette nicht getroffen hatte, brutal in den Bauch getreten - weil der Chor in diesem Moment nicht das "verlangte Weltniveau erreicht" habe. Thamm soll vom Pult aus zugetreten haben. Die Knaben auf der Orgelempore sangen einfach weiter. Keiner habe sich getraut, mit dem Singen aufzuhören - der von Thamm ausgeübten "Herrschaft der Angst" wegen.

Die Vorwürfe gegen einen zu Thamms Zeit tätigen Internatsleiter wiegen noch schwerer. Der Mann, ein evangelischer Pfarrer, soll einem Brief zufolge Schüler regelmäßig in sein Büro geholt haben, mit Vorliebe nach dem Mittagessen. Die Türen dieses Raumes sollen doppelt gepolstert gewesen sein, damit die Schreie der Knaben nicht nach draußen gelangten. Womit die Gepeinigten malträtiert worden sein sollen, klingt unfassbar. Der Internatsleiter habe den Schülern die Wahl gelassen zwischen einem Rohrstock und einer Nilpferdpeitsche.

Vorwürfe aus mehreren Jahrzehnten

Ute Baumann, der Chorsprecherin, fällt es zu, Fragen nach der Vergangenheit der Windsbacher zu beantworten, während diese durch Spanien touren. Schläge mit einer Peitsche, verabreicht in einer von der evangelischen Landeskirche mitfinanzierten Einrichtung? Davon sei tatsächlich die Rede, bestätigt sie. Man sei aber noch am Anfang mit den Recherchen. Mit Gewissheit ließen sich die Qualen in den sechziger und siebziger Jahren noch nicht benennen. Man habe erst vor kurzem eine Psychologin beauftragt, das Material zu sammeln.

Ulrike Winkler von Mohrenfels nimmt jetzt die Anrufe von ehemaligen Windsbachern und deren Angehörigen entgegen. Man erreicht die externe Psychologin schwer, was daran liegt, dass "dauernd das Telefon klingelt", wie sie berichtet. Es gehe um "Vorfälle aus mehreren Jahrzehnten". Auch von Gewalt sei die Rede, von "Tritten und vom Boxen". Fälle nach 1978 seien nicht darunter. In dem Jahr hatte Thamm, Ehrenbürger von Windsbach und Träger des bayerischen Verdienstordens, die Chorleitung abgegeben. Vor drei Jahren ist er gestorben.

Die Briefe - die der Süddeutschen Zeitung vorliegen - hat ein früherer Chorsänger kurz vor seinem Tod im Jahr 2005 geschrieben. Er schildert darin, wie der "Offizierspfarrer" und Internatsleiter die Buben in seine "Folterkammer" gebeten habe. "Vor dem Vollzug bewies dieser Unmensch seine beispiellose Liberalität: Ich durfte zwischen Nilpferdpeitsche und Rohrstock wählen", heißt es. "Während seiner wohl abgezirkelten Bewegungen ging dem Schläger bestimmt einer ab - und abschließend kam der Gipfel, als sich der Diener des Herrn nicht entblödete zu behaupten: Mir tut es genauso weh wie dir." Der Autor, er wurde nach seiner Windsbacher Zeit Filmemacher und Fernsehjournalist, hat seine Aufzeichnungen "Abschiedsbrief" genannt.

Kurz vor seinem Tod hat er die beiden Briefe an Thamm geschickt. Ihm schrieb der ehemalige Windsbacher: "Als ich einmal meine Abscheu vor dieser Art der Behandlung äußerte, schlugen Sie auf mich ein, bis ich am Boden lag."

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