Missbrauchsprozess gegen Priester:Das Schweigen des Hirten

Der pädophile Pfarrer von Riekofen muss sich nun vor Gericht verantworten. Sein Bischof Gerhard Ludwig Müller ignorierte im Umgang mit ihm die Richtlinien der deutschen Bischöfe. Trotzdem fühlt er sich nicht verantwortlich.

Rudolf Neumaier

Der katholische Priester Peter K. hat einen Ministranten sexuell missbraucht. An diesem Donnerstag steht er in Regensburg vor Gericht. Er wird sein Geständnis von seinem Anwalt verlesen lassen, dann wird der psychiatrische Gutachter K.s Sexualität erläutern. Eine "homoerotische Kernpädophilie" wird er dem Angeklagten attestieren.

Sieht keine Schuld bei sich: der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller

Sieht keine Schuld bei sich: der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller

(Foto: Foto: ddp)

Dass K. dem Opfer eine Aussage erspart, dürfte sich strafmildernd auswirken. Doch was heißt das schon, wenn man nach Paragraph 63 des Strafgesetzbuches verurteilt wird. Der 63er legt die unbegrenzte Unterbringung psychisch kranker Straftäter fest - darauf wird es hinauslaufen, wenn das Gericht dem Gutachter glaubt. Juristisch ist die Schuldfrage damit beantwortet. Aber wirklich nur juristisch. Über die moralische Schuld im "Fall Riekofen" werden die Menschen im Bistum Regensburg noch länger diskutieren.

Der Fall Riekofen. Benannt ist er nach einem kleinen Dorf im Landkreis Regensburg. Kirche, Fußballplatz, alte Bauernhöfe, eine oberpfälzische Idylle mit 800 Einwohnern. K. hat dort von 2004 bis zu seiner Festnahme im August 2007 als Seelsorger gewirkt. In dieser Zeit kam es laut Anklage zu 22 sexuellen Übergriffen an einem Buben.

Leitlinie ignoriert

Nach den Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Umgang mit pädophilen Geistlichen hätte K. nicht mehr in einer Pfarrei eingesetzt werden dürfen. Denn er hatte sich bereits fünf Jahre zuvor in Viechtach an Messdienern vergangen und war zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.

Mit Blick auf Männer wie Peter K. haben die deutschen Bischöfe im September 2002 in ihre Leitlinien geschrieben: "Geistliche, die sich des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig gemacht haben, werden nach Verbüßung ihrer Strafe nicht mehr in Bereichen eingesetzt, die sie mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung bringen."

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller, seit November 2002 im Amt, hat diese Maßgabe ignoriert. Er setzte K. als Pfarradministrator ein. Ein folgenschwerer Fehler, den der Bischof bis heute nicht eingestehen will. Vielmehr lässt er immer noch verbreiten, er habe nach den Leitlinien seiner Bischofskollegen gehandelt.

Dabei lassen sich dem Ordinariat des Bistums Regensburg durchaus Fehler im Umgang mit pädophilen Priestern nachweisen. Auch in einem anderen Fall ignorierte es die Leitlinien: Statt den Übergriff eines Pfarrers im niederbayerischen Falkenberg der Justiz zu melden, wie es die Bischöfe vorgeben, wollte es die Sache intern regeln. Müller war bereits Bischof. Zufällig bekam die Justiz Wind davon und nahm Ermittlungen auf. Der Falkenberger Pfarrer wurde verurteilt.

Verstoß gegen Bewährungsauflagen

In einem Biotop wie diesem brauchte Peter K., der heute 40 Jahre alt ist, keine allzu strenge Maßregelung zu befürchten. Schon während seiner dreijährigen Bewährungszeit nach dem Viechtacher Urteil durfte er in Riekofen mit Firm- und Kommunionkindern arbeiten. Das Ordinariat wird später feststellen, dass es K. nicht dazu beauftragt habe.

Dass er gegen die Bewährungsauflagen verstieß, wonach ihm Kontakt mit Kindern untersagt war, das war seinen Chefs im Ordinariat offenbar gleichgültig. Seinen Vorgesetzten, den damaligen Pfarrer von Riekofen, informierten sie erst gar nicht über K.s Vorstrafe. Unter den ehemaligen Kurskollegen kursierte nur ein Gerücht. "Es hieß, der Peter ist irgendwie krank, aber nichts Genaues wusste man nicht", erzählt ein ehemaliger Priesterseminarist. Er erinnert sich gut an K.

Ein auffällig unauffälliger Kerl sei der gewesen. Dem Auftreten nach viel älter als die anderen, nicht nur wegen des schütteren Haares. "Wenn der Peter mit 27 sein 50-jähriges Priesterjubiläum gefeiert hätte, wär' das keinem aufgefallen."

Das Schweigen des Hirten

Und wenn die Kurskollegen in einer Mischung aus gerechtem Zorn und bierseliger Lausbüberei einem Seminaristen nach dem Sommerfest das Zimmer ausräumten, weil sich der mit einem einflussreichen Kleriker die Nacht um die Ohren schlug, war Peter K. dabei. Aber immer als Mitläufer, nie als Rädelsführer. Wenn im Priesterseminar über das offene Geheimnis des schwulen Klerikers gelästert wurde, hielt er sich zurück.

Misstrauen per Mail

In Riekofen ist er schnell heimisch geworden. Er ist ein umgänglicher Typ, die Dorfbewohner schätzen ihn von Anfang an. Sie bauen ihm sogar ein neues Pfarrhaus und setzen sich im Ordinariat dafür ein, ihn als Pfarrer zu bekommen, als der alte Ortsgeistliche in Pension geht. Sie wissen ja nicht, dass ihn nach dem Viechtacher Fall ein Gerichtspsychiater als "eindeutig pädophil" eingestuft hat. Sie wissen gar nichts von ihm, und sie vertrauen ihm ihre Kinder an.

Im Sommer 2007 aber erhalten Pfarrgemeinderäte seltsame E-Mails. Ihr Pfarrer soll Kinder missbraucht haben? Absender der Mails ist der Vater der beiden missbrauchten Viechtacher Ministranten. Die Riekofener werden misstrauisch - warum beschäftigt sich der Pfarrer fast nur mit Buben? Im Dorf beginnt das Gerede. Kurze Zeit später ist K. verschwunden. Erst krankgemeldet, dann in U-Haft.

Die Riekofener sprechen von einem "grausamen Experiment an ihren Kindern". Mehr als zehn Ermittlungsverfahren werden aufgenommen, erzählt K.s Verteidiger Alois Kölbl. Einige Kinder werden richterlich vernommen. Zur Anklage kommt aber nur ein Fall, der des damals elfjährigen Ministranten.

Vorwürfe nur als Diffamierung wahrgenommen

Bischof Müller drückt sein Bedauern aus, schickt eine Sozialpädagogin nach Riekofen. Dem Bischof wird nahegelegt, einen Fehler bei der Einsetzung von K. einzuräumen, dann wäre Ruhe. Doch er bleibt stur und nimmt sich zur Beratung einen Anwalt, den Münchner Strafverteidiger Thomas Pfister, der sich in schwierigen Fällen einen Namen gemacht hat.

Gebetsmühlenartig beruft Müller sich auf den Abschlussbericht von K.s Therapeuten aus dem Jahr 2003, in dem anders als im Gerichtsgutachten von 2000 steht, der Geistliche sei nicht pädophil fixiert und bedenkenlos einsetzbar. Darauf allein stützte Müller seine Entscheidung. In Vorwürfen sieht er nur Diffamierung.

Eine seltsame Meldung veröffentlicht das Ordinariat im Oktober 2007. Der 70-köpfige Priesterrat des Bistums hat über Riekofen geredet, er teilt mit: Sollten die Vorwürfe gegen Peter K. zutreffen, "entschuldigen sich die Priester dafür, dass einer aus ihrer Mitte das Vertrauen der beiden Gemeinden und des Bischofs aufs Bitterste enttäuscht hat". Die Priester entschuldigen sich für etwas, das sie nicht beeinflussen konnten. Der Bischof hingegen will von einer moralischen Schuld nichts wissen.

Vor dem Landgericht Regensburg wird an diesem Donnerstag eine Mahnwache stehen. Der Bischof soll noch einmal an seine Verantwortung erinnert werden. Drinnen wird es einen sehr kurzen Prozess geben, kündigt Peter K.s Verteidiger an. Und in Riekofen hoffen sie nur noch auf eines: Ruhe.

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