Süddeutsche Zeitung

Missbrauch in der katholischen Kirche:"Das Ganze ist ein Albtraum"

Eine Krise der Institution, aber keine Krise des Glaubens: Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der Katholiken, spricht sich gegen das Pflichtzölibat und für Reformen aus.

Christine Burtscheidt

Angesichts der Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen mahnt Alois Glück die katholische Kirche dringend, das Leid der Opfer in den Mittelpunkt zu stellen. Sonst drohe sie ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren, sagt der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Glück war jahrelang Fraktionschef der CSU und später Landtagspräsident in Bayern.

SZ: Warum hat die Kirche so lange weggeschaut, wenn Kinder missbraucht wurden?

Glück: Das Ganze ist ein Albtraum. Es ist die schwerste Belastung unserer Kirche, seit ich denken kann. Für viele war wohl das erste Gebot, das Ansehen der Kirche und ihre Glaubwürdigkeit zu schützen. Damit wurden die Opfer in ihrem Leid nachrangig. Eine der positiven Konsequenzen aus dem jetzigen Schock heraus ist, dass wir nun endlich wieder den Menschen im Mittelpunkt sehen.

SZ: Wie lässt sich das Kartell des Schweigens dauerhaft durchbrechen? Die Furcht ist groß, dass weitere Fälle wieder unter den Tisch gekehrt werden.

Glück: Ich bin der Überzeugung, dass sich jetzt ein grundlegender Wandel vollzieht. Den mag der ein oder andere in der Kirche vielleicht ungern mitmachen. Aber oberste Priorität hat nun nicht mehr der Schutz der Kirche, sondern haben die Opfer. Das wird den weiteren Kurs bestimmen. Wer hier nicht mitgeht, gefährdet die Glaubwürdigkeit der Kirche, oder anders ausgedrückt: Er versündigt sich an den Opfern und der Kirche.

SZ: Ist das jahrelange Schweigen der Kirche nicht auch Folge ihrer prüden Sexualmoral?

Glück: Die Ursachen für den Missbrauch sind sicherlich sehr komplex. Er ist auch in nichtkirchlichen Schulen und Einrichtungen vorgekommen. Von daher gibt es keine monokausale Erklärung. Priorität hat jetzt die Aufklärung. Sicherlich müssen wir dann auch Konsequenzen struktureller Art ziehen und dabei reflektieren, ob es kirchenspezifische Bedingungen gibt, die den Missbrauch begünstigten. Dazu gehört zweifellos eine Auseinandersetzung mit dem ganzen Thema Sexualität, angefangen vom Umgang damit bis hin zur Auswahl des kirchlichen Personals.

SZ: Priester müssen im Zölibat leben. Kommt es nicht durch die auferlegte Ehelosigkeit zwangsläufig zur negativen Auslese beim Kirchenpersonal?

Glück: Ich widerspreche entschieden. Dies wäre eine pauschale Diffamierung. So einfach lässt sich das nicht schlussfolgern. Bemerkenswert ist auch, dass weltoffene Jesuiten von den Missbrauchsvorfällen genauso betroffen sind wie andere Ordensgemeinschaften. Wir brauchen aber eine vertiefte Reflexion über Personalauswahl und Inhalte der Ausbildung.

SZ: Sie selbst haben bereits eine Lockerung des Zölibats gefordert.

Glück: Nicht nur ich. Zur selben Zeit hat beispielsweise auch der Vorsitzende der Schweizer Bischofskonferenz erklärt, dass die Bischöfe für die Abschaffung des Pflichtzölibats sind und das in Rom zur Sprache bringen wollen. Die Thematik wird auf der Tagesordnung bleiben, wenngleich sie nicht alle Probleme lösen wird. Deshalb darf die Debatte jetzt nicht allein auf den Zölibat und geistliche Berufe reduziert werden. Die gesamte Entwicklung führt doch derzeit zu einer großen Verunsicherung bei Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich mit Jugendlichen arbeiten. Wir müssen deshalb Hilfe und Orientierung geben.

SZ: Sollte also die Entscheidung, im Zölibat zu leben, für die Priester freiwillig sein?

Glück: Ich denke, das wäre ein Weg. Nur, wie gesagt, mit der Frage des Zölibats allein ist das Thema nicht gelöst, und es wird einer längeren Wegstrecke bedürfen, um Vertrauen zurückzugewinnen. Das gelingt nur, wenn der Wille zur vorbehaltlosen Aufklärung da ist. Zu klären ist auch, wie die Zusammenarbeit mit dem Staat künftig gehandhabt wird. Bei einem begründeten Verdacht muss sofort der Staat eingeschaltet werden. Wichtig ist, dass die Kirche hier nach einheitlichen Kriterien vorgeht. Auch sollten Anlaufstellen für Missbrauchsopfer außerhalb jeder kirchlichen Abhängigkeit stehen.

SZ: Hat die Kirche als oberste moralische Instanz verspielt?

Glück: Natürlich reagieren jetzt viele Menschen mit Häme, weil sie oftmals die katholische Kirche als eine moralische Instanz erlebten, die mit harten Urteilen daherkam und das Scheitern von Menschen in bestimmten Situationen nicht wahrhaben wollte. Das kommt jetzt wie ein Bumerang auf sie zurück. Die Kirche sollte deshalb lernen, mehr Verständnis für Brüche im Leben zu haben. Sie braucht eine Barmherzigkeit nicht nur gegenüber eigenen Fehlern, sondern gegenüber den Fehlern aller Menschen.

SZ: Erleben wir jetzt den Niedergang des Glaubens?

Glück: Es ist nicht eine Krise des Glaubens, aber eine Krise der Institution Kirche. Sie muss um ihrer selbst willen dringend handeln. Nur dann kann sie ihre Botschaft glaubwürdig weiter verkünden.

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Quelle:
SZ vom 13.3.2010/wolf/jobr
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